Andere Fandoms

Robin Hood - König der Diebe

Startseite

Ausgrabungen

FanFiction

Fotoalbum

Impressum/Kontakt

 

Teil 24 – Alter Hass und neue Feinde


Die Zeit verstrich, und der Herbst übernahm endgültig die Herrschaft über das Land. Die Geächteten waren in diesen Wochen nicht untätig. Das Lager wuchs und wurde immer weiter ausgebaut, alle verbrachten viel Zeit mit der Arbeit an ihren neuen Unterkünften, die sich nun in den Baumkronen befanden. Hängebrücken aus Seilen verbanden diese Hütten. Ihre Jäger brachten täglich frisches Wild, darunter oft Tiere, auf deren Jagd einst mancher Mann sein ganzes Leben verwandt hatte. Und niemand wagte es, den Wilderern in den Forst von Sherwood zu folgen.

Daneben wurden Pfeilspitzen gegossen und Schwerter geschmiedet, Bögen und Unmengen von Pfeilen angefertigt. Und die Waldleute lernten, mit diesen Waffen auch umzugehen. Unter Robins, Aseems und Sayeeds Anleitung wurden aus den ehemaligen Bauern allmählich Krieger. Unentwegt schossen sie mit Pfeilen auf Soldatenpuppen, um ihre Zielsicherheit zu verbessern, trainierten mit Schwertern, Äxten und Messern. Aseem und Sayeed waren Robin dabei eine unschätzbare Hilfe.

Die Waldleute hatten längst erkannt, wie nützlich die beiden Fremden nicht nur in dieser Hinsicht für ihre Gemeinschaft waren. Vor allem Aseem mit seiner umfassenden Bildung und seiner Weisheit konnte vielen Ratsuchenden helfen und so manchen Streit schlichten. Bald kamen die Menschen gleich zu ihm, wenn sie Sorgen hatten. In den meisten Fällen wusste er eine Lösung für ihre Probleme. Immer jedoch gingen die Leute getröstet davon.

Und er war ein begnadeter Erzähler. Wenn Aseem eines der Märchen aus seiner Heimat vortrug, versammelten sich zuerst nur ein paar Leute um ihn. Aber bald saß fast die ganze Gemeinschaft bei ihm und lauschte fasziniert den Geschichten von mutigen Männern, schönen Frauen, zaubermächtigen Dschinns und wundersamen Fabelwesen. Auch Robin und Sayeed, ja sogar Will ließen sich bereitwillig in diese Zauberwelt entführen. Dann war aller Streit, alle Feindschaft für die Dauer einer Erzählung vergessen.

Das Verhältnis zu Sayeed war dagegen eher von ängstlichem Respekt geprägt. Sie war vielen Leuten wegen ihrer düsteren Gestalt und ihres Schweigens unheimlich, wurde wegen ihrer Fähigkeiten als Heilerin aber hoch geschätzt. Sie hatte sich mit einer Geschwindigkeit, die Robin beinahe magisch erschien, unglaubliche Kenntnisse der englischen Pflanzenwelt und ihrer Heilkräfte angeeignet. Und sie verfügte über ein medizinisches Wissen, das man eigentlich nicht in nur einer Lebenszeit erwerben konnte. Allmählich verstand er, warum Aseem sie manchmal als Zauberin bezeichnete.

Sayeed hatte eine der alten Hütten auf dem Waldboden zu einer Art Labor umfunktioniert, wo sie alle möglichen Pülverchen und Tinkturen zubereitete. Das Material dafür brachte sie von ihren Streifzügen aus dem Wald mit. Robin bezeichnete die Hütte einmal scherzhaft als „Hexenküche“. Aber auf ihren vernichtenden Blick hin verkniff er sich diesen Begriff rasch wieder.

Bald wurden auch die immer noch eintreffenden Flüchtlinge mit ihren zahllosen Verletzungen durch die Misshandlungen der Soldaten des Sheriffs sofort zu ihr geschickt. Die Geächteten schienen zu glauben, dass Sayeed über ein Heilmittel gegen jede Art von Übel verfügte. Über Patientenmangel konnte sie sich jedenfalls nicht beklagen.

Doch manchmal vernahm Robin auch das Wort „Hexe“, verstohlen geflüstert hinter vorgehaltener Hand. Dann sträubten sich ihm die Haare und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Das Bild der entstellten Leiche seines Vaters erschien vor seinen Augen und er musste daran denken, dass er Sayeeds Labor als Hexenküche bezeichnet hatte. Hatte das vielleicht jemand gehört, für dessen Ohren es nicht bestimmt war? Diese einfachen Leute waren sehr abergläubisch, daran hätte er denken müssen, machte er sich selbst Vorwürfe.

Robin stellte den Sprecher zur Rede - wenn er ihn denn ausfindig machen konnte. Aber oftmals war nicht auszumachen, woher das Wort kam. So fanden seine Sorgen immer wieder neue Nahrung. Er hatte schon mehrmals versucht, Sayeed zur Vorsicht zu bewegen, aber sie tat seine Bedenken mit einer wegwerfenden Geste ab. Sie sah nur die Leiden derer, die ihre Hilfe brauchten.

Aseem, den Robin um Unterstützung gebeten hatte, war ihm auch keine Hilfe. Er hatte nur mit den Schultern gezuckt und gemeint: „Du wirst sie nicht umstimmen können, Christ. Glaube mir. Aber mach’ dir nicht so viele Sorgen, sie kann auf sich selbst aufpassen.“

Ja, so wie in Jerusalem, schoss es Robin durch den Kopf. Natürlich sprach er es nicht laut aus. Aber im Stillen schwor er sich, wenn sie schon nicht selbst auf sich acht gab, dann mussten er und Aseem sie eben beschützen, ob sie wollte oder nicht. Wobei wohl eher letzteres der Fall war, so wie er sie kannte.

Denn dass sie kaum einmal einen gut gemeinten Rat annahm und sich schon gar nichts befehlen ließ, hatte Robin oft genug zu spüren bekommen. Dass sie nicht sprach, ließ einen glauben, ihr Charakter sei ebenso ruhig. Aber weit gefehlt. Sie war hitzköpfig, aufbrausend und starrsinnig – eigentlich genau wie Will Scarlet, schoss es Robin durch den Kopf. Vielleicht hatten sie sich gerade deshalb so schnell gefunden.

Sie verbrachte nun die meiste Zeit mit ihm, teilte sogar sein Lager, wie Robin feststellen musste. Und sie war ganz offensichtlich glücklich. Er schnaubte abfällig. Es war für ihn unverständlich, was sie an dem jungen Burschen fand, der schließlich versucht hatte, ihn umzubringen, und auch weiterhin keine Gelegenheit ausließ, ihn zu provozieren. Das Verhältnis zwischen Sayeed und Robin war dementsprechend angespannt. Sie hatte gefälligst an seiner Seite zu stehen, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten! Er lächelte bitter und unterdrückte diesen Gedanken rasch wieder.

Denn Robin wusste ganz genau, dass seine Vorwürfe eigentlich jeder Grundlage entbehrten. Sayeed gab ihm zwar immer wieder unmissverständlich zu verstehen, was sie von seinen Plänen hielt, nämlich gar nichts; doch sie unterstützte ihn, genau wie Aseem, trotzdem bei allen seinen Vorhaben, auch bei der Ausbildung der Geächteten an den Waffen. Um sie nicht wehrlos in den Untergang laufen zu lassen, wie sie ihm eindeutig klarmachte.

Und er musste sich ebenfalls eingestehen, dass auch Will Scarlets Widerstand nicht allein aus dem Hass auf ihn geboren war. Es gab genug stichhaltige Gründe für seine Vorwürfe, das wusste Robin selbst. Er vermutete, dass nicht wenige der Waldleute ebenso dachten. Nur wagte es eben niemand außer Will, seine Bedenken auch auszusprechen.

Doch das konnte den Schmerz, der in ihm bohrte, nicht besänftigen. Er redete sich ein, das alles sei nur aus der Sorge um Sayeed geboren, dass er sie vor neuen Verletzungen und Enttäuschungen bewahren wollte. Für ihn stand zweifelsfrei fest, dass diese Beziehung nicht von Dauer sein konnte. Scarlett würde sie verraten wie er ihn verriet. Denn etwas anderes waren Wills Versuche, seine Pläne zu stören und Misstrauen gegen ihn unter den Waldleuten zu säen, für Robin nicht.

Und wann immer er beobachtete, wie Sayeed diesen vermaledeiten Unruhestifter ansah, anlächelte, berührte oder er sie, schien in seinem Kopf etwas auszuhaken. Nur mühsam konnte er sich dann beherrschen, sie nicht einfach zu packen und von diesem Nichtsnutz fortzureißen. Schließlich platzte ihm der Kragen, als er wieder einmal versuchte, mit ihr zu reden, und sie sich einfach abwandte. Warum gewährte sie diesem Bürschchen, was sie ihm verweigerte? Wenn er sie nicht haben konnte, sollte es auch kein anderer. Und schon gar nicht so ein Jüngelchen, gerade erst den Windeln entwachsen! Grob hielt er sie fest, zog sie an sich und wollte ihr einen Kuss aufzwingen.

Sie setzte sich mit einer Wut und Kraft zur Wehr, mit der Robin nicht im Mindesten gerechnet hatte. Er landete mit solcher Wucht auf dem Rücken, dass er erst einmal Sterne sah. Wieder einmal hatte er sie unterschätzt. Sie war kein englisches Fräulein, das einem Mann nichts entgegenzusetzen hatte. Als sein Blick wieder klar wurde, sah er sie gerade noch im Wald verschwinden.

In den nächsten Tagen würdigte Sayeed ihn keines Blickes mehr. Aseem versuchte zu vermitteln, aber es dauerte einige Zeit, bis Robins schlechtes Gewissen so weit angewachsen war, dass er sich ziemlich kleinlaut bei ihr entschuldigte. Danach wurde sie wieder zugänglicher, doch sie ging ihm immer noch aus dem Weg. Er ahnte nicht, dass dies gar nichts mehr mit seinem Verhalten ihr gegenüber zu tun hatte.


Sayeed sah in ihren Aufenthalten im Wald das letzte Mittel, um den Konflikt zwischen Robin und Will wenigstens ein wenig zu entschärfen. Sie hatte schon so gut wie alles versucht, um die beiden Männer dazu zu bewegen, mit diesem kindischen Verhalten aufzuhören. Doch die Scharmützel zwischen ihnen schien nichts beenden zu können. Sie schlichen umeinander her wie zwei kampfbereite Kater, von denen aber keiner den entscheidenden Angriff wagte, dachte sie seufzend.

Immer wieder versuchte Will Robin zu provozieren, obwohl er regelmäßig den Kürzeren zog. Robin war wenigstens so klug, meistens nicht auf Wills Provokationen zu reagieren, konnte es sich allerdings nicht verkneifen, den jungen Mann seinerseits manchmal absichtlich zu reizen. Und dass sie anscheinend jetzt auch noch zwischen ihnen stand, machte das Ganze wahrlich nicht einfacher.

Nur in einer Sache waren sie sich einig: Wenn sie, Sayeed, als „Hexe“ tituliert wurde, wie es immer mal wieder vorkam, verteidigten beide sie vehement. Doch während Robin in dieser Hinsicht niemand offen zu widersprechen wagte, war Will zu ihrer großen Sorge schon mehrmals verletzt worden, weil er sich deswegen mit einem der anderen Waldleute geschlagen hatte.

Sayeed lächelte, doch es wirkte eher bitter. Sie wusste ja, warum die beiden Männer das taten. Aber das machte es nicht besser. Weder Will noch Robin verstanden, dass sie keinen Mann brauchte, um ihre Ehre zu verteidigen. Und bei Will fürchtete sie, dass er bei einem dieser Zusammenstöße irgendwann weitaus schwerer verletzt werden könnte – oder sogar getötet. Denn vor ihm hatte keiner der Geächteten Respekt. Aber weder er noch Robin hörten auf sie.

Allmählich wusste sie sich keinen Rat mehr. Will war jung und aufbrausend, mit ihm gingen schnell die Pferde durch. Und sein Hass auf Robin bestimmte sein Denken und Fühlen so sehr, dass er in dieser Hinsicht keiner Bitte nach Mäßigung zugänglich war, nicht einmal von ihr. Aber von Robin hatte sie erwartet, dass er ihre Entscheidung respektierte, wenn er sie schon nicht akzeptieren konnte. Sie waren doch Gefährten, Freunde. Er redete sich zwar ein, er wolle sie beschützen. Doch sie spürte nur allzu deutlich, dass der eigentliche Grund für seinen Zorn auf Will nicht aus Sorge um sie geboren war, sondern hauptsächlich auf einem ihr unverständlichen Besitzdenken beruhte. Wie konnte er sie nur als sein Eigentum betrachten? Robin schien sie Will nicht zu gönnen, auch wenn er es nicht zugab, wahrscheinlich nicht einmal sich selbst eingestand. Als sei sie ein Knochen, um den sich zwei Hunde zankten!

Auf Robins verletzte Frage, ob sie ihn mit ihrer abweisenden Art bestrafen wolle, hatte sie ihm nicht die Antwort geben können, die er sich erhofft hatte. Sie liebe ihn, hatte sie ihm bedeutet, wie einen Bruder, aber Will liebe sie von ganzem Herzen. Er bemerkte nicht, dass sie stockte, weil ihr das selbst zum ersten Mal richtig bewusst wurde.

Aus dem ursprünglichen Wunsch, Will zu helfen, seinen Schmerz zu lindern, war längst mehr geworden. Er war es, der die Dunkelheit vertrieb, die ihr Gemüt so oft verdüsterte, er brachte sie zum Lachen. Er ließ sie die Schmerzen und Ängste, die sie immer noch quälten, wenigstens für einige Zeit vergessen. Er holte sie zurück in die Wirklichkeit, wenn wieder einmal ein Alptraum sie gefangen hielt; hielt sie fest, bis sie aufhörte zu zittern. In seinen Armen konnte sie ruhig schlafen.

Und sie war für ihn da, wenn er mit seinen eigenen Dämonen kämpfte, gab ihm den Halt und die Liebe, die er so dringend brauchte, hellte seine Verbitterung auf. Bei ihr konnte er der Jüngling sein, der er ja eigentlich noch war. Dann vergaß er für einige Zeit, was ihn bedrückte.

Denn auch ihr war es immer noch nicht gelungen ihm zu entlocken, woher dieser so tief sitzende Hass auf Robin kam. Sie wusste, dass es nicht nur die selbstbewusste, ja arrogante Art war, in der dieser die Führung der Geächteten an sich gerissen hatte und sie nun gegen den Sheriff einsetzte. Es war auch nicht nur Eifersucht, wie sie zuerst vermutet hatte. Es gab da eine sehr persönliche Komponente, die weitaus schwerer wog. Doch selbst ihr vertraute Will dieses Geheimnis nicht an.

Er gab sowieso nur wenig über sich und seine Familie preis. Allein von seiner Mutter, einer Bäuerin aus der Locksley-Domäne, sprach er sehr liebevoll und voller Trauer über ihren frühen Tod. Geschwister habe er keine und seinen Vater habe er nie kennen gelernt, behauptete er. Aber sie spürte genau, dass er log. Und dass er wusste, dass sie es wusste. Doch er sah sie nur mit versteinertem Gesichtsausdruck an und Sayeed drang nicht weiter in ihn. Wie konnte sie von ihm etwas fordern, dass sie selbst nicht bereit war zu geben? Irgendwann würde Will es erzählen. Wenn er soweit war.

Sayeed?“ Robins Frage holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie sah ihn an, sah die Besorgnis in seinen Augen. Sie war wohl länger in Gedanken versunken als sie gedacht hatte. Sayeed lächelte beruhigend und Robin erwiderte ihr Lächeln kurz, aber bei ihm wirkte es matt. Ihr Geständnis war ein Schlag für ihn gewesen, das war ihm deutlich anzusehen. Er musste heftig schlucken, bevor er ihr sagen konnte, wenn das so sei, dann akzeptiere er es.

Aber natürlich hatte sie gewusst, was wirklich in ihm vorging. Tröstend strich sie ihm mit einem traurigen Lächeln über die Wange und wollte ihn umarmen. Doch Robin wich zurück und ging wortlos davon. Seufzend sah Sayeed ihm nach. Wenn sie nur wüsste, wie sie die beiden Männer versöhnen könnte. Denn sie wollte weder die Freundschaft zu Robin noch die Liebe zu Will aufgeben. Sie wollte nicht glauben, dass sie zwischen den beiden Männer wählen müsste. Warum sollte sie nicht beides haben können?

Also versuchte Sayeed nur noch, die beiden Streithähne so gut es ging voneinander fernzuhalten. Ihre Streifzüge durch den Wald boten dazu die beste Gelegenheit, im Lager liefen die Männer sich viel zu oft über den Weg. Und Will begleitete sie dabei mit nicht nachlassender Begeisterung. Es bereitete ihm eine kindliche Freude, wenn er sie mit seinem Wissen über den Forst von Sherwood beeindrucken konnte. Denn er kannte den Wald so gut wie kein anderer der Geächteten. Dorthin hatte Will sich immer schon zurückgezogen, wenn er der Gesellschaft der anderen Waldleute überdrüssig war.

Irgendwie schien er nicht ganz zu ihnen zu gehören. Er schien nirgendwo hinzugehören.

Die anderen Geächteten waren Bauern, fest verwurzelt in der Erde, die sie bestellten, die Gedanken nur auf die nächste Aussaat oder Ernte gerichtet. Will dagegen schaute sich um und fragte. Fragte, warum die Blätter grün waren und der Himmel blau. Fragen, auf die er keine Antworten erhielt. In Sayeed hatte er nun endlich jemanden gefunden, der seine Wissbegierde teilte und der ihm Antworten gab.

In diesen Stunden, zu zweit in dem wilden Wald, waren sie glücklich. Dann war Will ganz er selbst, vergessen waren der Hass und die schlechten Erfahrungen. Und Sayeed vergaß für kurze Zeit das Leid, das sie erlitten hatte, die Jahre der Einsamkeit. Dann fühlte sie sich beinahe wieder so jung wie Will. Manchmal wünschte sie sich, einfach dort zu bleiben, nicht wieder ins Lager zurückkehren zu müssen. Sayeed schüttelte den Kopf. Wunschträume, unerfüllbar auf ewig. Doch auch so waren ihre Ausflüge in die Stille des Waldes immer eine Atempause, eine Auszeit von den Sorgen des Alltags.

Bei ihren Streifzügen zeigte Will ihr so vieles, das sie allein nur schwerlich entdeckt hätte. Und sie zeigte ihm, wie man die Schätze dieses magischen Ortes nutzen konnte. Dazu brauchten sie keine Worte, Will verstand ihre Gesten inzwischen genau so gut zu deuten wie Robin oder Aseem.

Irgendwann ließen sie sich dann nieder, begutachteten ihre Ausbeute, aßen, spielten oder ruhten einfach nur. Bis einer von ihnen davon genug hatte. Sayeed lächelte versonnen. Will war fast unermüdlich, was die Liebeskunst anging. Er stillte ihren Hunger mit dem größten Vergnügen - und er war auf diesem Gebiet genauso wissbegierig wie auf allen anderen.

Dann wieder wurde aus dem Liebhaber von einem Moment auf den anderen ein übermütiger Knabe. Und ehe Sayeed es sich versah, spielten sie Fangen oder Verstecken, tobten durch den Wald wie zwei kleine Kinder. Der uralte Forst war ihr Spielplatz, für sie barg er keine Schrecken.

Will konnte sich schier ausschütten vor Lachen, wenn sie sich mal wieder die Kletten aus dem Haar nestelte, mit denen er sie zuvor beworfen hatte. Dann jagte sie ihn in gespielter Wut durch das Unterholz, während er jauchzend vor Vergnügen davonlief. Bis sie ihn schließlich einholte und sie miteinander über den weichen Waldboden rollten. Und ganz plötzlich konnte aus dem spielenden Kind wieder der leidenschaftliche Liebhaber werden.

Oder sie maßen sich in der Kampfkunst. Will war ihr zwar an Kraft überlegen, aber viel zu ungestüm, um ein guter Kämpfer zu sein. Er drosch einfach drauflos, dachte nicht nach. Sayeeds Erfahrung und die Techniken, die sie beherrschte, gaben ihr einen unschätzbaren Vorteil ihm gegenüber. Auch im Bogenschießen oder mit dem Wurfmesser, seiner bevorzugten Waffe, war sie ihm zumindest ebenbürtig. Doch es machte ihm nichts aus, im Gegenteil. Will wurde dieses Spiels nie müde, und er lernte schnell, auch wenn er es in der ersten Zeit zu sehr als ein Spiel ansah. Er befand sich dann in einer der Geschichten, die Aseem so oft erzählte, war Aladin oder Sinbad, der große Seefahrer. Doch er konnte solch ein Gefecht nur gewinnen, wenn er ihr Streiche spielte oder zu Tricks griff.

Sayeed beobachtete dies mit Sorge. Für sie hatten ihre Übungen einen sehr ernsten Hintergrund. Sie wollte ihm das Rüstzeug an die Hand geben, nicht schon beim ersten echten Kampf getötet zu werden. Und dass solch ein Kampf unausweichlich war, zeigten ihr nicht nur Wills Auseinandersetzungen mit den anderen Geächteten. Robins Taktik der Nadelstiche würde nicht ewig fortzuführen sein, sein Plan lief zwangsläufig auf eine Konfrontation mit den Truppen des Sheriffs hinaus. Und auch bei den Überfällen auf Reisende oder Steuereintreiber war der Tod eine ständige Gefahr.

Bei ihrem nächsten Waffengang nahm sie dann keine Rücksicht mehr. Will sah sie verletzt und verwirrt an, als sie ihn das erste Mal verwundete. Es war nur ein kleiner Schnitt am Oberarm, Sayeed wollte ihn ja nicht ernstlich verletzten. Aber er sollte den Ernst der Übung erfassen, also drang sie weiter auf ihn ein. Er wehrte sich zunehmend verzweifelt gegen ihre Angriffe, doch er hatte keine Chance.

Als er schließlich am Boden lag, ihre Schwertspitze an der Kehle, blutete er aus zahlreichen kleinen Wunden. Tränen der Erschöpfung und der Angst rannen ihm über die Wangen; in seinen Augen las Sayeed den Schmerz über ihre rüde Behandlung, die er nicht verstand. Scham stieg in ihr auf, sie warf das Schwert fort und kniete sich neben ihn. Als sie ihn in die Arme nehmen wollte, wich er zurück. Nun stiegen ihr selbst Tränen in die Augen. War sie zu weit gegangen? Hatte sie ihn mit ihrem rücksichtslosen Manöver verloren? Angst stieg in ihr auf, schnürte ihr die Kehle zu. Verzweifelt versuchte sie Will zu verdeutlichen, was sie bezweckt hatte. Und endlich sah sie Verständnis in seinen Augen aufglimmen. Erleichtert umarmte sie ihn, hielt ihn ganz fest, und Will erwiderte endlich die Umarmung. Die folgenden Übungen nahm er nun so ernst wie sie selbst, auch wenn er auf seine Spielereien nicht vollständig verzichten konnte. Er war eben immer noch ein Kind. Also ließ Sayeed ihm ab und zu die kleine Freude.

Als Will sie dann zum ersten Mal ohne Tricks im Schwertkampf besiegte, jubelte er laut, wirbelte sie vor lauter Begeisterung herum, bis ihr schwindlig wurde, und lachte sie dann aus, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und an ihm festhalten musste. Sayeed freute dieser Sieg noch mehr als ihn. Wurde doch mit Wills zunehmender Geschicklichkeit ihre Furcht, er könne den ersten wahrhaftigen Kampf nicht überleben, Stück um Stück gemildert.

Irgendwann aber dienten ihre Streifzüge nicht mehr nur der Erforschung des Sherwood Forest und um Sayeeds Arzneivorrat zu füllen. Eigentlich aus einem Streich entstanden, den Will mal wieder ausgeheckt hatte, streiften er und Sayeed nun oft mit ganz anderen Absichten durch den Forst. Dann machten sie Jagd auf ganz besonderes Wild. Und sie kehrten meist mit reicher Beute zurück.

Die Geächteten bestaunten fassungslos und zunehmend ehrfürchtig ihre Erfolge. Will antwortete auf ihre Fragen danach, wo sie gewesen waren, mit einer Miene, die er für geheimnisvoll zu halten beliebte: „Auf der Jagd“, und tauschte verschwörerische Blicke mit Sayeed. Diese lächelte dann nur.

Und bald erzählten die Geschichten nicht mehr nur von Robin Hood und den Geächteten, sondern auch von einem schwarzen Dämon mit grün glühenden Augen, der im Sherwood Forest umging.


Weiter: Teil 25 – Auf der Jagd