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Robin Hood - König der Diebe

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Teil 26 – Niederlagen und Intrigen


Und so vergingen die Wochen. Kein reicher Mann, ob Adeliger oder Kaufmann, konnte den Sherwood Forest durchqueren, ohne einen gesalzenen Wegzoll dafür entrichten zu müssen. Bewaffnete Begleiter vermochten gegen unerwartete Pfeile aus der Deckung des dichten Waldes nichts auszurichten, und jeder Versuch der Verfolgung endete in hilfloser Verirrung im dichten Unterholz, wo einer nach dem anderen von einem unsichtbaren Feind erledigt wurde.

Als sich mehr und mehr Waren und Gold im Sherwood Forest ansammelten, begannen die Waldmänner sich allmählich immer freier und selbstbewusster in den Dörfern und Weilern der Umgebung zu bewegen und ihre Beute an die Bedürftigen zu verteilen. Sie ernteten dafür soviel Dankbarkeit, dass die Leute sie genauso wenig verraten hätten wie Mitglieder ihrer eigenen Familien. Die Steckbriefe, die immer noch überall hingen, vergilbten und zerfledderten, ohne dass jemand auf das Angebot einging.

So fuhr auch Bull mit einem Wagen von einem Ort zum anderen, und Wulf und Fanny halfen ihm, die Lebensmittel, Decken und das Vieh abzuladen und zu verteilen. Alle drei trugen offen sichtbar Waffen. Die Dorfbewohner begrüßten sie stets freudig und riefen Gottes Segen auf Robin Hood, den König der Diebe, herab.

Gisborne führte ständig neue Patrouillen in den Sherwood Forest. Er nahm die besten Kundschafter mit, die er bekommen konnte. Aber keiner fand auch nur eine Spur, die zu Robin und seinen Waldmännern führte. Dabei war es nicht schwer, Fährten zu entdecken. Doch sie endeten einfach abrupt, als hätten die, von denen sie stammten, sich in Luft aufgelöst. Dann rollten die Soldaten mit den Augen, bekreuzigten sich und flüsterten untereinander von Dämonen, dunkler Magie und unergründlichen Geheimnissen in den uralten Tiefen von Sherwood. Keiner kam je auf die Idee, sich das Unterholz und die Baumkronen genauer anzusehen. Dann hätten sie das Tarnwerk aus Laub und Geäst erkennen können, hinter dem die Waldmänner saßen und jede Bewegung mit wachsamen Augen verfolgten.

Der Name Robin Hood verbreitete sich im gesamten Norden wie ein Lauffeuer, und je heftiger der Sheriff eben dieses Feuer auszutreten versuchte, desto heller loderte es auf.


Wie so oft in letzter Zeit saß der Sheriff in seinen Privatgemächern auf Nottingham Castle in seinem großen, reichgeschnitzten Stuhl und hörte müde zu, wie sein Schreiber ihm die neueste Liste aller Überfälle und Räubereien vortrug.

Der Schreiber räusperte sich, bevor er unsicher weiterlas. „Wir haben Grund zu der Annahme, my Lord, dass dieser Robin Hood inzwischen drei bis vier Millionen erbeutet hat, und das in den letzten drei Monaten. Vermutlich sogar noch mehr.“

Der Sheriff heftete seinen Blick auf den Schreiber, und sagte mit einem gelangweilten Unterton in der Stimme: „Also gut, meinetwegen. Dann erhöht das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld eben noch einmal. Setzt es auf fünfundzwanzigtausend Kronen fest!“ Er goss sich Wein ein und trank ungeduldig.

Der Schreiber überlegte einen Moment, ob er etwas dazu sagen sollte. Er wusste, dass die Stimmung des Sheriffs sehr plötzlich umschlagen konnte. Und dass solch ein Stimmungsumschwung meistens nicht gut für den Verursacher ausging. Doch dann entschied er sich, es trotzdem zu wagen.

Vergebt mir, my Lord“, wandte der Schreiber schüchtern ein, „aber ich glaube, es wird nichts nützen, egal wie hoch es ist.“

Der Sheriff trank noch einen Schluck und würdigte den Schreiber keines Blickes. Dieser zuckte trotzdem – oder gerade deshalb – erschrocken zusammen. Nottinghams Stimme klang jetzt etwas gereizt. „So, wirklich? Und warum, werter und geschätzter Schreiber?“

Weil, my Lord...“, sagte der Schreiber und verkrampfte nervös seine Finger ineinander, „die Armen, versteht Ihr, sie... Nun, er gibt ihnen ja das meiste von dem, was er raubt. Also...lieben sie ihn.“

Der Sheriff beugte sich vor und setzte den Becher auf den Tisch. Seine Miene verdüsterte sich zusehends. Unauffällig schätzte der Schreiber ab, wie weit es bis zur Tür war.

Der Sheriff erhob sich und stützte die Hände auf den Tisch. In heißem Zorn funkelte er den verschüchterten Mann an. „Moment mal, wie war das? Robin Hood raubt Geld, das mein Eigentum ist, zwingt mich, das Volk zu quälen und zu demütigen, und die lieben ihn dafür?“ Seine Stimme wurde immer lauter, je mehr er sich in Rage redete.

Der Schreiber nickte nervös, den Kopf fast zwischen den hochgezogenen Schulter verschwunden. Aber auch das schützte ihn nicht vor dem Schwall Wein aus dem Becher, den der Sheriff in seiner Wut vom Tisch fegte.

Wütend begann der Sheriff zu brüllen, während er zur Tür stürmte. „Jetzt ist es genug! Streicht die Küchenabfälle für die Aussätzigen und Waisen. Keine Gnade mehr bei Hinrichtungen!“ Er riss die Tür auf und drehte sich noch einmal zu dem Schreiber um. „Und sagt Weihnachten ab!“

Mit einem Schritt war er zur Tür hinaus und schlug sie mit aller Kraft hinter sich zu. Der Schreiber beeilte sich, ihm zu folgen. Nottingham stürmte schon die Treppe hinunter, mit dem Schreiber auf den Fersen. Immer noch schimpfte er lauthals vor sich hin. „Die Staatskasse ist leer. Tag und Nacht jammern die Menschen vor meiner Tür um Steuererleichterungen und Begleitschutz durch Sherwood Forest. ‚Wir können Euch nicht geben, was der Straßenräuber uns genommen hat. Die Geächteten sind mit dem Teufel im Bunde’’“, äffte er böse die Klagen nach.

Aber es ist der kürzeste Weg nach London“, wandte der Schreiber zaghaft ein. Der Sheriff blieb in dem Gang, in den er nun gelangt war, stehen und drehte sich zu dem Mann um. „Es ist der einzige Weg nach London, kleines Frettchen“, fauchte er ihn an.

Der Schreiber duckte sich, redete aber weiter. „Sir Gisbornes Patrouillen haben nichts gefunden, Sire?“

Kein Lager, nichts!“, wütete der Sheriff.

Als er weitergehen wollte, blieb sein Blick an einer Statue von ihm selbst hängen. Jemand hatte eine Wangennarbe in das Gesicht der Figur gekritzelt. Vor Wut versagte ihm die Stimme. Er griff sich die Mütze des Schreibers, spuckte darauf und rieb damit an der aufgemalten Narbe herum. „Diese mit einer Kapuze gekleidete Viper entschlüpft einfach so in den Wald“, zischte er. Seine Bemühungen an der Statue blieben erfolglos. Zornig warf er dem Schreiber die nutzlose Mütze ins Gesicht.

Dann wandte er sich an ein paar junge Frauen, die in einer Nische des Korridors saßen und sich beim Schein einer einzelnen trüben Kerze über ihre Näharbeiten beugten. Der Sheriff deutete auf eine der Frauen. „Du, heute abend um halb elf in meinen Gemächern!“ befahl er. „Und du“, er deutet auf eine andere Frau, „um viertel vor elf! - Und bring eine Freundin mit!“ Dann stürmte er weiter. Der Schreiber schnitt ihm hinter seinen Rücken noch eine Grimasse, dann kehrte er zurück in die Gemächer des Sheriffs.

Dieser hastete die Treppen zu Mortiannas Keller herunter. Sie erwartete ihn schon an dem Altar. Forschend blickte sie ihm entgegen und hielt einen brennenden Fidibus in ein Prunkgefäß, dessen Kelch aus einem umgedrehten menschlichen Schädel bestand. Eine Stichflamme schoss empor.

Nottingham lehnte sich mit entnervtem Gesichtsausdruck auf die Platte des Altars. Für derlei Hokuspokus hatte er jetzt keine Zeit, er musste sich um ganz andere Sachen kümmern.

Mortianna bedachte ihn mit einem forschenden Blick aus den Augenwinkeln und versuchte, seine Stimmung einzuschätzen. Dann sagte sie: „Eine Zunge beleidigt Euch.“

Verwirrt drehte der Sheriff sich zu ihr um. „Wessen?“ fragte er stirnrunzelnd.

Die von dem, der alles schreibt“, murmelte Mortianna, ohne den Blick von ihrem grausigen Gefäß zu heben.

Der Sheriff traute seinen Ohren nicht, er musste einfach noch einmal nachfragen. „“Dieser furchtbare kleine Schreiberling? Seine Zunge?“

Mortiannas sah ihn mit unbewegter Miene an. „Schneidet sie ihm heraus“, forderte sie ihn auf. Wahnsinn blinkte in Nottinghams Augen. Mit verzerrtem Gesicht griff er nach einem Dolch, der auf dem Altar lag, und stürmte davon.

Mortianna schaute ihm nach, ihre Züge waren eine Maske aus kalter Genugtuung, doch in ihren Augen loderte der Hass. Der Schreiber war ihr schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Der Sheriff hörte auf ihn, auch wenn er es hinter Geringschätzung und Missachtung verbarg. Und so hatte dieser kleine, unscheinbar wirkende Mann schon manches Mal ihre Pläne durchkreuzt, Nottingham gegen ihre Einflüsterungen immun gemacht. Das war jetzt endgültig vorbei, dachte sie erfreut. Fast hätte sie geschnurrt wie ein Kätzchen, so zufrieden war sie über ihren Erfolg.


Weiter: Teil 27 – In die Falle gelockt