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Robin Hood - König der Diebe

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Teil 28 – Reiche Beute und etwas „Beifang“


Gar nicht so weit entfernt donnerte der Steuergeldwagen über den schmalen Pfad. Robin jauchzte, und sogar der sonst so ernsthafte Aseem jubelte laut. Robin reichte Aseem die Zügel und klopfte heftig auf das Dach des Wagens, um die Aufmerksamkeit der Insassen zu gewinnen.

Streckt eure Waffen“, rief er laut, um die donnernden Hufe der Pferde zu übertönen, „und ihr habt mein Wort, dass wir euch freilassen werden.“ Aber aus dem Wageninneren kam kein Laut. Dafür stach auf einmal eine Schwertklinge durch den Luftschlitz genau über dem Kutschbock nach den beiden. Aseem rutschte hastig zur Seite. Robin ließ sich von ihm wieder die Zügel geben. Aber auf das, was Aseem dann plötzlich tat, war er nicht gefasst.

Dieser kletterte von dem Kutschbock auf die Deichsel des Wagens und machte sich an dem Pflock zu schaffen, der diese mit dem Wagen verband. Alarmiert rief Robin: „Nein, Aseem, tu’ das nicht!“ Doch da rutschte der Pflock schon aus der Verankerung. Aseem sprang mit einem Satz auf die davongaloppierenden Pferde, während Robin hastig die Zügel losließ, um nicht mitgerissen zu werden.

Dann erkannte Robin, worauf der nun führerlose Wagen zuraste. Kurz bevor er an den kleinen See gelangte, konnte er sich mit einem gewagten Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Der Wagen aber flog allein durch sein Gewicht und seine Geschwindigkeit noch einige Meter weit, bevor er in den See stürzte. Wie durch ein Wunder schwankte er zwar bedenklich, kam dann aber auf seinen Rädern zum Stehen. Allerdings begann er, sich in dem Schlamm des Seebodens langsam zur Seite zu neigen. Durch die schmalen Schießscharten des Wagens lief Wasser, und von drinnen drangen panische Schreie und drängende Bitten heraus, dass man sich das Angebot, sich zu ergeben, noch einmal überlegt habe.

Robin nickte den inzwischen herangekommenen Waldmännern zu und bedeutete ihnen, die Wachsoldaten aus dem Wagen zu holen. Das Wasser war zwar nicht tief genug, um sie wirklich in Lebensgefahr zu bringen, aber es gab keinen Anlass, ihnen das ausdrücklich mitzuteilen.

Etwas später, als sie entwaffnet, entkleidet und angemessen verspottet worden waren, wurden sie aneinander gefesselt. Ein paar der Geächteten würden sie bis an den Waldrand bringen.

Robin sah mit Genugtuung zu, wie seine Leute die schweren eisernen Geldkassetten aus dem im Wasser liegenden Wagen ausluden und am Ufer stapelten. Aseem griff sich eine der Kassetten und brach das Schloss auf. Als er den Deckel öffnete, wurde es ringsum ganz still, die Waldleute versammelten sich staunend um ihn. Die Kiste war bis obenhin voll mit schimmernden Goldmünzen, und sie war nicht eben klein. Alle starrten auf das Gold und auf die anderen, noch ungeöffneten Kassetten. Dann brachen sie wie auf ein geheimes Kommando in lauten Jubel aus, schlugen einander auf die Schultern und betrachteten den Schatz mit begeisterten Mienen und großen Augen.

Robin starrte nachdenklich auf die offene Kassette. Dann griff er hinein und ließ eine Handvoll Goldstücke durch seine Finger rinnen.

Ich werd’ verrückt“, sagte John staunend. „Nie im Leben hätte ich gedacht, dass es auf der Welt so viel Gold geben könnte.“

Dieser Schatz ist zu einem bestimmten Zweck zusammengerafft worden“, sagte Robin langsam. „Und ich denke, es ist in unserem eigenen Interesse, dass wir herausfinden, wofür.“

Er wurde durch Gestöhn und Unruhe am Bierwagen unterbrochen. Der Mönch war erwacht und versuchte mühsam, sich wieder auf den Kutschbock zu hieven. Der Bruder war ein noch gar nicht so alter Mann von durchschnittlicher Größe, aber eindeutig überdurchschnittlichem Taillenumfang. Seine schäbige Mönchskutte schien hauptsächlich von den vielen neuen und älteren Bierflecken zusammengehalten zu werden. Sein großes rundes Gesicht beherrschten ein breiter Mund, um den ein struppiger Bart wucherte, und kleine, runde, aber ungewöhnlich direkte Augen.

Verblüfft sahen sich die Geächteten an. „Wer ist das?“ fragte einer ratlos. Robin trat auf den schnaufenden Klosterbruder zu. „Guten Morgen, mein geistlicher Freund“, sagte er zu ihm. „Ihr befindet Euch in schlechter Gesellschaft, wenn Ihr mit Nottinghams Soldaten reist.“ Die Geächteten hinter ihm lachten spöttisch und Robin drehte sich Unterstützung heischend zu ihnen. Der Mönch sah sich alarmiert um, er spürte, dass hinter Robins so harmlos wirkenden Worten etwas Bedrohliches steckte.

Ich bin Robin von Locksley“. stellte Robin sich vor, „und meine Männer haben Durst.“ Der Klosterbruder machte ein übertrieben verblüfftes Gesicht und grölte: „Robin Hood! Ja du meine Güte!“ Geschmeichelt lächelte Robin. „Und ich habe euch für gewöhnliche Diebe gehalten! Verzeiht“, setzte der Mönch ironisch hinzu. Er nahm die Zügel des Wagens auf. „Und jetzt lasst mich bitte passieren.“

Robin hielt ihn mit dem Ende seines Bogens zurück. „Der Herr ist sicher barmherzig und hat ein paar Fässer übrig für gute Christenmenschen“, sagte er und sah sich vielsagend zu seinen Männern um. Die murmelten zustimmend. Robin drehte sich wieder zu dem Mönch. „Wir haben nämlich viel zu feiern.“

Der Priester schüttelte lachend den Kopf. „Ja, wenn Ihr wollt, dass sie das Gebräu des Herrn unter sich aufteilen“, sagte er immer noch lachend, „...dann müsst Ihr mich erst mal besiegen!“ Mit aller Kraft trat er Robin ans Kinn. Der fiel um wie ein gefällter Baum. Sofort stürzten sich die Geächteten auf den Mönch. Doch er wehrte sie fast spielerisch ab und spornte sein Pferd an. Triumphierend johlte er, als der Wagen in Bewegung kam und die Geächteten herabfielen, während sich Robin vor Schmerzen am Boden wälzte.

Als der Bierwagen davonrollte, griff der Mönch auf dem Kutschbock nach seinem Krug und tauchte ihn in das offene Fass. Euphorisch über seinen Sieg stand er auf und drehte sich zu den Geächteten um, die ihm fassungslos hinterher schauten. „Gebt es zu, Robin Hood, Bruder Tuck ist ein weiserer und mutigerer Mann als Ihr es seid“, brüllte er triumphierend und prostete ihnen spöttisch zu. Dabei bemerkte er nicht den tiefhängenden Ast, der immer näher kam.

Der Ast erwischte ihn genau am Hinterkopf. Er purzelte vom Bock auf den Boden und auf seinen Bierkrug, der unter ihm zerbrach. Das Pferd erkannte, dass kein Anlass mehr bestand weiter zu ziehen, und blieb einfach stehen. Bruder Tuck rappelte sich stöhnend hoch und schüttelte betrübt den Kopf, als er sah, was mit seinem Bierkrug geschehen war. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Welch ein Jammer.“

Immer noch leicht benommen, kam Robin auf ihn zugestolpert und blieb vor dem betrübt auf dem Boden hockenden Mönch stehen. Robin prüfte kurz, ob sein Kiefer auch noch in einem Stück an der richtigen Stelle saß, und musterte den Klosterbruder. „Nun, ergebt Ihr Euch?“ fragte Robin schließlich.

Tuck sah abschätzend zu ihm auf und hielt sich den dröhnenden Kopf, als müsse er über Robins Worte nachdenken. Dann fing er an zu lachen und hob die Hand. Robin ergriff sie, um ihm hoch zu helfen.

Plötzlich schnaubte der Mönch: „Lieber brate ich in der Hölle!“ Er klammerte sich mit aller Kraft an Robins Bein und biss zu. Robin heulte vor Schmerz auf und rief um Hilfe. Mehrere Männer waren nötig, um Robin von dem schwergewichtigen Klotz am Bein zu befreien.

Etwas später bot sich den Waldmännern ein denkwürdiges Schauspiel. Bruder Tuck war in das Geschirr seines Bierwagens gespannt worden und musste diesen selbst im Schweiße seines Angesichts ziehen. Die Geächteten sangen oder besser gesagt grölten ein Spottlied, während Robin auf dem Kutschbock stand und die Zügel in der Hand hielt. Der Mönch brummte und stöhnte laut, doch der Wagen bewegte sich in gleichmäßigem Tempo.

Robin bemerkte anerkennend, dass sich unter all dem Fett auch wirkliche Muskeln verbargen. Er dirigierte ihn bis in die Mitte des Lagers, wo Frauen und Kinder gelaufen kamen, um ihre heimkehrenden Männer und Väter zu begrüßen. Fast ebensoviel Interesse aber galt den Geldkassetten, mit denen die Kutschpferde bepackt waren, die die Waldmänner mit sich genommen hatten. Die Kinder tanzten vergnügt um den Wagen mit dem seltsamen Zugtier herum, als Robin endlich lachend die Zügel anzog und den Wagen stoppte, direkt neben Sayeed. Diese hatte hastig ihr Tuch wieder vor Mund und Nase gezogen, als sie den Mönch bemerkte, und beobachtete die Szene argwöhnisch.

Tuck stöhnte unterdessen weiter und hielt sich den Rücken, als er sich aufrichtete und streckte. „Danke, Gott, dass du mich Demut gelehrt hast.“ Schnaufend nahm er das Kummet ab.

Robin schwang sich leichtfüßig vom Bock und kam neben Sayeed zu stehen. „Nun, Tuck…“, sagte er immer noch lächelnd zu dem Mönch, während die Waldleute die Fässer abluden. Einer der Geächteten schlug Tuck kräftig auf die Schulter. „Danke für das Bier“, sagte er. Tuck nickte und bleckte die Zähne in der Parodie eines Lächelns. Dann wandte er sich zu Robin um.

Sayeed sah erstaunt und misstrauisch von dem Mönch zu ihm und wieder zurück. Dieser beäugte ebenfalls argwöhnisch die schwarz verhüllte Gestalt da vor ihm. Doch bei Robins nächsten Worten schweifte sein Blick ab.

Sind dies hier nicht die Sanftmütigen der Welt“, fuhr Robin fort und machte eine ausholende Geste durch das Lager, „die Demütigen der Erde? Wir könnten einen aufrichtigen Gottesmann, der Priesterdienste bei uns versieht, gebrauchen. Was sagt Ihr, Bruder?“

Ringsumher wurde es still, und Tuck musterte jedes einzelne Gesicht, jedes einzelne Augenpaar, das auf ihn gerichtet war. Wie die mörderischen Wilden, von denen so viel die Rede war, sahen sie wirklich nicht aus. Na ja, bis auf die schwarze Gestalt vielleicht, die da neben Robin stand und ihn mit Blicken schier zu durchbohren schien, schoss es ihm kurz durch den Kopf. Aber der Anblick der anderen Menschen verdrängte diesen Gedanken schnell.

Was er sah, waren Armut, Hunger und unverkennbare Zeichen von Misshandlung. Männer, denen eine Hand fehlte oder die Ohren. Frauen mit Striemen von Peitschen. Ein Mädchen mit verkrüppelten Beinen. Ein junger Mann, dem ein Auge ausgebrannt worden war. Die Kinder versammelten sich mit großen Augen und erwartungsvollem Lächeln um ihn, und als er die Spuren von Misshandlungen auch auf ihren Körpern sah, senkte er die Augen. Er faltete die Hände zu einem kurzen stillen Gebet. Mehr als einmal hatte er für seine eigenen Leute gebetet. Man musste wohl, erkannte er, ein wenig vorsichtig damit sein, wen man so in seine Gebete einschloss.

Er atmete tief ein, blickte auf und lächelte Robin an. „Der Herr offenbart sich oft auf wundersamen Wegen“, sagte er ruhig, „ich bin einverstanden.“

Robin lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Gut. Ihr werdet es nicht bereuen.“

Tuck funkelte ihn in plötzlich aufflammendem Zorn an. „Ja“, sagte er, „aber Ihr vielleicht.“

Weder er noch Robin bemerkten, wie Sayeed erbleichte und Robin zornige Blicke zuwarf. Dann stürmte sie davon. Robin sah ihr verblüfft und ein wenig wütend nach. Gerade hatte er sie zur Rede stellen wollen, weil sie wieder einmal an ihrem Beutezug nicht teilgenommen hatte. Und nun war sie schon wieder verschwunden. Gott allein wusste, für wie lange dieses Mal, dachte Robin mit einem lautlosen Seufzer.


Sayeed lief blindlings durch das Lager und in den Wald hinein. Dass sie Will fast umrannte, bemerkte sie nicht einmal, genauso wenig wie die erstaunten und besorgten Blicke der anderen.

Alarmiert folgte Will ihr, so schnell er konnte, doch es gelang ihm nicht sie einzuholen. Erst an einem kleinen Teich, weit vom Lager entfernt, fand er sie endlich. Der Teich, an dem er ihr zum ersten Mal begegnet war, registrierte er nebenbei. Sie kniete zusammengesunken am Fuß eines Baumes, die Finger in den moosbedeckten Boden gekrallt, und bemerkte ihn nicht, als er sich langsam näherte. Plötzlich zögerte er, unsicher, was er tun solle.

Ihr Atem ging schwer, vernehmlich rang sie nach Luft. Die Besorgnis um sie gewann nun doch die Oberhand. Diesen Laut, dieses mühsame Atemholen kannte Will. Er hatte es schon einige Male erlebt, bei den Alpträumen, die Sayeed immer noch ab und an heimsuchten.

Hastig kniete Will sich neben sie. Als er sie berührte, zuckte sie zusammen und fuhr hoch. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, aber Will sah kein Erkennen in ihnen. Und immer noch dieses Keuchen, dieses furchtbare Nachluftschnappen.

Will nahm sie in die Arme. Zuerst wehrte sie sich, aber er ließ sie nicht los, hielt sie nur noch fester. Nun spürte er auch, dass sie am ganzen Körper zitterte. Er brachte seinen Mund ganz nah an ihr Ohr und flüsterte eindringlich ihren Namen, immer und immer wieder. Und endlich ließ das Zittern nach, ihr Atem wurde ruhiger, ihre Arme legten sich um ihn. Nun hielt sie ihn ganz fest, klammerte sich regelrecht an ihn. Will wagte es nicht, sich zu lösen. So saßen sie einfach da, in enger Umarmung.

Als Sayeed sich schließlich aufrichtete und ihn ansah, atmete Will erleichtert auf. Sie lächelte ihn an und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Ihre Art, sich zu bedanken. Will erwiderte ihr Lächeln, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Zu tief saß noch der Schrecken über ihr unverständliches Verhalten.

Was ist geschehen?“, fragte er, immer noch voller Sorge. Sie begann zu gestikulieren, aber ihre Gesten wirkten fahrig, und Will verstand nicht, was sie ihm sagen wollte. Nur, dass es etwas mit dem Mönch zu tun hatte, den Robin mit ins Lager gebracht hatte. Er hatte den Aufmarsch mit dem ungewöhnlichen Zugtier wohl bemerkt, sich aber nicht weiter darum gekümmert. Deshalb wusste er auch nicht, was Sayeed so aufgebracht hatte. Er ahnte nur, dass dieser Mönch etwas aus ihrer Vergangenheit aufgerührt hatte, dass sie überwunden glaubte.

Ihre Gesten wurden zunehmend hektischer, in ihren Augen funkelte der Ärger darüber, dass Will sie nicht verstand – und ein Hass, der ihn erschreckte. Es hatte keinen Zweck. Sie regte sich schon wieder auf und machte es dadurch noch schwerer für ihn, sie zu verstehen. Er griff nach ihren Händen und hielt sie fest.

Lass’ gut sein“, sagte er sanft und sah sie eindringlich an. „Wir brauchen ja nicht zurück zu den anderen. Bleiben wir einfach heute nacht hier. Einverstanden?“ Sie erwiderte seinen Blick und langsam verschwand der Hass aus ihren Augen. Schließlich nickte sie und lächelte ihm zu.

So verbrachten sie den langsam hereinbrechenden Abend und die Nacht dort auf der Lichtung. Will machte sich auf den Weg, etwas zu essen zu besorgen, während Sayeed Holz sammelte und ein kleines Feuer entzündete. Das Kaninchen, dass Will bald darauf brachte, brieten sie darüber und aßen es zusammen mit den Kräutern und Wurzeln, die Sayeed gefunden hatte. Will plauderte über dies und das, erzählte Geschichten, die er mit beredten Gesten begleitete, immer darum bemüht, so etwas wie Normalität herzustellen und sie auf andere Gedanken zu bringen. Als sie schließlich in lautes Lachen ausbrach bei seinem Versuch, die Jagd auf das Kaninchen nachzuspielen, atmete er erleichtert auf.

Doch die Sorge ließ sich nicht vollständig aus seinem Herzen vertreiben. Als Sayeed schon schlief, geborgen in seiner Umarmung, lag er noch lange wach und starrte in den sternenbedeckten Himmel. Sie war immer sein Rückhalt, sein Anker gewesen; an dem er Halt fand, wenn er mal wieder Gefahr lief, sich in seinem Hass und den schwarzen Gedanken zu verlieren.

Aber die Geschehnisse des Tages hatten ihm gezeigt, dass sie nicht so abgeklärt und unerschütterlich war, wie er bisher angenommen hatte. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie sehr sie noch immer unter den Schrecken der Vergangenheit litt. Genau wie er hatte sie es tief in ihrem Innern vergraben. Doch die Wunden waren nicht verheilt, und es genügte eine Kleinigkeit, um sie wieder aufbrechen zu lassen. Sie waren sich ähnlicher, als er jemals geglaubt hatte, ging ihm plötzlich auf. Und dass sie ihn ebenso brauchte wie er sie.

Mit einem lautlosen Seufzer wandte er den Kopf, so dass er die schlafende Frau in seinen Armen betrachten konnte. Die feinen Linien um Augen und Mund, die vom Vergehen der Zeit zeugten, waren im schwachen Licht der Sterne unsichtbar, ebenso wie die Narben. In diesem Moment glich sie wieder der Elfe, für die er sie in der ersten Nacht gehalten hatte. Zärtlich küsste er sie auf die Wange, die ihm zugekehrt war. Sie bewegte sich leicht, schmiegte sich noch enger an ihn. Ein kleines Lächeln hob ihre Mundwinkel und ein warmes Gefühl breitete sich in Wills Körper aus. Er küsste sie noch einmal, dann lehnte er seine Stirn an die ihre und schloss die Augen. Nun konnte auch er Ruhe finden.


Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Gisborne Nottingham Castle betrat. Er begab sich sogleich zum Sheriff. Es war ihm bewusst, dass es nur umso schlimmer werden würde, je länger er mit seinem Bericht wartete. Aber deswegen fiel es ihm auch nicht leichter. Schließlich fand er ihn bei den Waffenschmieden, denen er bei der Arbeit zusah.

Nottingham hatte die Rüstkammer zu seiner persönlichen Waffenschmiede gemacht, und seitdem wurde hier ohne Unterlass Tag und Nacht gearbeitet. Schon warteten Schwerter und Rüstungen für ein ganzes Heer darauf, benutzt zu werden.

Gisborne ging langsam durch Rauch und Funkenregen und entdeckte den Sheriff, wie er eben eines der neu geschmiedeten Schwerter prüfend schwang. Gisborne näherte sich zögernd, ging dann an ihm vorbei zu einem der Waffenständer, ohne ihn anzusehen, und lehnte sich daran. Er drehte Nottingham den Rücken zu. „Ich bringe schlechte Nachrichten, Vetter“, sagte Gisborne leise. „Wir sind im Sherwood Forest in einen Hinterhalt geraten.“

Der Sheriff schwang das Schwert weiter, während er sich ihn zuwandte. „Spanischer Stahl, Vetter“, sagte er, als habe er gar nicht gehört, was Gisborne gesagt hatte. „Viel härter als unsere Klingen.“ Er steckte das Schwert in die Halterung des Ständers, an dem Gisborne lehnte. „Irgendwelche Verluste?“, fragte er, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren.

Gisborne konnte ihm nicht in die Augen sehen, er wusste, dass des Sheriffs Interesselosigkeit nur gespielt war. Dass er so beherrscht wirkte, verhieß nichts Gutes. Innerlich kochte Nottingham vor Wut, dafür kannte Gisborne ihn viel zu genau. Und das war nicht gut, das war ganz und gar nicht gut. „Sehr viele“, antwortete er tonlos. „Genauer gesagt, alle.“ Er trat etwas von dem Stroh, mit dem der Boden bestreut war, davon, nur um den Sheriff nicht ansehen zu müssen.

Nottingham widmete sich immer noch ganz den Schwertern; jetzt nahm er ein anderes aus einem der Ständer und betrachtete es eingehend, als würde ihn das Ganze gar nichts angehen. „Und das Gold?“, fragte er wie nebenbei.

Ist... verschwunden. Einfach vom Wald verschluckt.“

Noch immer wandte sich der Sheriff nicht um. „Robin Hood?“, fragte er.

Gisborne machte eine unbestimmte Geste. „Da waren Waldmänner, ja. Ich sah sie selbst.“

Robin Hood also“, sagte Nottingham bedächtig und nickte, als habe er nichts anderes erwartet. Dass der Sheriff so ruhig blieb, obwohl Gisborne jeden Moment mit der Explosion rechnete, war zuviel für ihn. Er brach in Tränen aus. „Ich habe es versucht, weiß Gott, ich habe es versucht“, schluchzte er. Der Sheriff traf auf ihn zu und legte ihm beruhigend den Arm um die Schultern. Gisborne klammerte sich verzweifelt an ihn und hoffte auf einmal gegen jede Vernunft, dass der Sheriff Verständnis zeige.

Mein lieber Vetter, wir müssen stark sein. Wir können es nicht zulassen, dass uns diese Waldmänner zum Narren halten“, redete Nottingham ihm begütigend zu und klopfte ihm auf den Rücken. Nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Und ich kann es meinem Statthalter nicht erlauben, mich zum Narren zu halten.“ Dabei verzog er das Gesicht zu etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte.

Während er sprach, griff er hinter sich und nahm ein Schwert aus dem Waffenständer. Mit einer einzigen Bewegung stieß er das Schwert Gisborne in den Leib und drehte es herum. Dann zog er die Klinge wieder heraus und stieß ihn zurück. Gisborne sah ihn fassungslos mit offenem Mund an, während er lautlos in die Knie sank. Er versuchte noch, sich an den Sheriff zu klammern, doch da kippte er schon kraftlos nach hinten, die Hände auf die klaffende Wunde gepresst. Ungläubig starrte er Nottingham an, während das Leben mit dem stetigen Strom seines Blutes aus ihm herausfloss.

Die Waffenschmiede verfolgten sprachlos vor Entsetzen die Szene, deren Zeugen sie gerade wurden. Der Sheriff trat zu Gisborne, blickte auf ihn nieder und sagte freundlich: „Sei froh, dass ich keinen Löffel genommen habe.“

Dann hielt er das Schwert hoch, betrachtete es prüfend und wandte sich an die Schmiede: „Guter Stahl“, sagte er anerkennend, als sei nichts vorgefallen. Er ließ das Schwert einfach fallen und verließ die Waffenkammer. Gisborne wälzte sich verzweifelt herum und griff noch nach seinem Knöchel, aber er hatte die Kraft nicht mehr. Als der Sheriff, noch immer lächelnd, die Treppe hinaufstieg, war er schon tot.


Weiter: Teil 29 – Unerwartete Gäste