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Robin Hood - König der Diebe

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Teil 29 – Unerwartete Gäste


Eines frühen Morgens ritten zwei Gestalten langsam auf einem laubbedeckten Pfad in den Sherwood Forest. Sie waren gekleidet in lange Umhänge, die über den ganzen Körper und noch weit über die Leiber der Pferde hingen, die Kapuzen tief über die Köpfe gezogen. Das gleichmäßige Getrappel der Hufe klang laut und deutlich durch die Morgenstille. Sonnenstrahlen stachen fast waagerecht durch das Laub und erhellten den Pfad unregelmäßig. Die beiden schienen es nicht eilig zu haben.

Im Unterholz neben dem Weg verborgen, lauerten zwei andere Gestalten. Es waren Bull und Much, der Sohn des Müllers. Much war nicht gerade groß, schmächtig und nicht eben der hellste Kopf unter Robins Leuten. Aber wahrscheinlich kam er deshalb so gut mit Bull aus. Sie waren auf der Jagd gewesen, doch als sie auf die beiden Reiter gestoßen waren, zwei so verlockende Opfer, wollten sie lieber ihnen auf der Spur bleiben. Sie eilten den beiden Reitern ein Stück voraus und duckten sich hinter einer Biegung des Weges. Zur Tarnung steckten sie sich noch schnell einige belaubte Zweige in die Gürtel. Dass diese Tarnversuche nichts weniger als lächerlich wirkten, war ihnen nicht bewusst.

So warteten sie auf die Reiter, die sie in einiger Entfernung schon herannahen sahen. Bull rückte ganz nahe an Much heran und flüsterte ihn aufgeregt zu: „Du nimmst den linken.“

Gut“, sagte Much, aber ihm war anzusehen, dass er gar nicht wusste, wo rechts oder links war. Nach einem kurzen Moment des Überlegens fragte er dann auch unsicher: „Welcher ist der linke?“

Bull schüttelte abschätzig den Kopf und hielt ihm seine rechte Hand hin, wobei er mit den Fingern wackelte. Much nickte, aber sein Gesicht zeigte immer noch pure Ratlosigkeit. „Und welchen nimmst du?“ fragte er Bull.

Der seufzte und entgegnete gereizt: „Na, wenn du den linken nimmst, nehme ich natürlich den rechten.“

Worauf Much fragte: „Und welcher ist der rechte?“

Na, der neben dem ...“, entnervt und auch unsicher, ob er sich nicht gerade um Kopf und Kragen redete, brach Bull ab. Dann, um sich keine Blöße zu geben, schlug er vor: „Ach, wir springen einfach raus und schnappen sie uns!“

Bull sah aus den Augenwinkeln, dass die Reiter sich inzwischen weiter genähert hatten. Also bedeutete er Much, jetzt endlich den Mund zu halten. Als sie direkt vor ihnen waren, rief er: „Los!“, sie sprangen aus ihrer Deckung und verstellten ihnen mit schussbereiten Bögen den Weg. Die Pferde schreckten zurück, so dass die Reiter Mühe hatten, sie im Griff zu behalten.

Halt!“ rief Much und reckte sich so hoch er konnte. „Eine kleine Spende, wenn ich bitten darf.“ Der Reiter vor ihm warf mit einer schnellen Bewegung seine Kapuze zurück. Es war eine junge Frau - Lady Marian. Aber das wussten die beiden vor ihr natürlich nicht. Nun nahm auch der andere Reiter seine Kapuze ab, und zum Vorschein kam ein zweites Frauengesicht, wenn auch ein entschieden dickeres und hässlicheres.

Marian blickte verächtlich auf die beiden Gestalten herunter und missachtete souverän die auf sie gerichteten Pfeile. „Eine Spende? Wofür?“, fragte sie sarkastisch.

Jetzt wusste Much nicht mehr weiter. Hilfesuchend schaute er zu Bull, der ihm hastig etwas zuflüsterte. Much nickte erleichtert und wandte sich wieder ihren „Opfern“ zu. „Für die sichere Durchquerung des Sherwood Forest“, rief er.

Gut“, sagte Marian mit einem Unterton in der Stimme, der Much hätte warnen sollen, „kommt und holt sie euch.“ Sie griff in ihr Gewand, als wolle sie ihre Börse hervorziehen. Much ließ sofort seinen Bogen sinken und kam begierig näher. Blitzschnell packte sie ihn an den Haaren, drehte ihn herum und setzte ihm den Dolch, den ihr der Sheriff geschenkt hatte, an die Kehle.

Inzwischen hatte Sarah, ihre Begleiterin, den verblüfften Bull mit einem gezielten Tritt direkt auf die Nase getroffen. Er ließ seinen Bogen fallen, schlug die Hände vor sein Gesicht und taumelt heulend vor Schmerz zurück. Er blutete heftig und starrte, während er vorsichtig seine schon anschwellende Nase betastete, Sarah vorwurfsvoll an.

Much, der genau spürte, wie der Dolch in die Haut über seiner Kehle schnitt, zog es vor, regungslos zu verharren und keinen Ton von sich zu geben, um Marian nicht noch weiter zu provozieren.

Diese war auch recht ungehalten. „Du verkrüppelter Busch“, herrschte sie ihn an, „wie kannst du es wagen, uns anzugreifen?!“

Das ist meine Arbeit, Lady“, versuchte Much sich zu verteidigen und hoffte, dass endlich dieser Dolch von seiner Kehle verschwinden würde.

Ach, wirklich?“ fragte Marian. „Und wer ist dein Dienstherr?“

Robin Hood“, erwiderte Much ängstlich. Doch selbst in dieser Situation schimmerte sein Stolz darauf durch, trotz aller Furcht.

Marian ließ ihn los, er sprang sofort nach vorn und drehte sich hastig wieder zu ihr, um ihr nicht den schutzlosen Rücken zuzukehren. Sie blickte ihn nachdenklich an, und Much gefror das Blut in den Adern. Nach seiner Erfahrung dachten Leuten, die einen auf diese Art ansahen, nur darüber nach, wie sie einem neue Schwierigkeiten machen konnten.

Doch dann sagte sie hoheitsvoll: „Ich möchte ihn sofort sprechen.“ Sarah warf ihr einen Blick zu und lächelte spöttisch. Sie wusste, dass diese beiden kläglichen Gestalten ihrer Herrin nichts entgegenzusetzen hatten.


Etwas später führten Bull und Much Marian und Sarah bis zum Rand einer üppig bewachsenen Schlucht, nicht weit vom Lager der Geächteten entfernt. Beide hatten sie verzweifelt versucht, Marian davon zu überzeugen, mit ihnen gleich ins Lager zu kommen, doch sie hatte hartnäckig darauf bestanden, direkt zu Robin gebracht zu werden. Bull dachte an seine blutende Nase, Much an seine angeritzte Kehle, und achselzuckend hatten sie Marians Begehr Folge geleistet.

Bull blieb am Rande der Schlucht stehen und redete wieder auf Marian ein, doch lieber mit ihnen ins Lager zu gehen. Dabei schaute er sich immer wieder nervös um und spähte die Felswand hinunter. Marian beobachtete dies zunehmend irritiert und trat nun selbst näher an den Abgrund, um den Grund für sein seltsames Verhalten herauszubekommen. Sein Einwurf, nicht nach unten zu sehen, bewirkte jedoch genau das Gegenteil.

Der Anblick, der sich ihr bot, war atemberaubend. Ein hoher Wasserfall stürzte donnernd von der anderen Seite der Schlucht in ein Becken tief unten. Eingefasst von den hohen Felswänden, erschienen der Wasserfall und das Becken wie ein Stück Natur, das noch völlig unberührt war von Menschenhand. Als sei die Zeit stehengeblieben da unten in der Tiefe.

Und dort im kalten dunklen Wasser badete ein Mann. Robin von Locksley.

Nackt und nicht ahnend, dass er beobachtet wurde, bewegte er sich völlig unbefangen. Sie konnte den Blick einfach nicht abwenden, auch als Robin aus dem Wasser stieg und zu seinen Kleidern ging, die er auf einem Felsen hinter dem Wasserfall abgelegt hatte. Sarah, die ihrer Herrin neugierig gefolgt war, blickte verlegen zur Seite, doch Marians Augen hingen wie hypnotisiert an der Gestalt dort unten, die sich seelenruhig ankleidete, immer noch ohne eine Ahnung von den Augen, die ihn beobachteten. Selbst aus dieser Entfernung konnte Marian die Narben erkennen, von denen sein Rücken gezeichnet war. Auch auf der Brust sowie Armen und Beinen trug er Narben. Dass er solche Wunden überlebt hatte, erschien Marian wie ein Wunder. Zum ersten Mal begriff sie ein wenig von den schrecklichen Geschehnissen in seiner Vergangenheit, durch die aus dem verzogenen Knaben, den sie gekannt hatte, der Mann geworden war, der jetzt dort unten badete.

Bull grinste anzüglich, hielt sich aber ansonsten zurück. Erst als Robin wieder in einem halbwegs züchtigem Zustand war, räusperte sich Bull und schrie, bemüht, das Tosen des Wasserfalls zu übertönen, in die Schlucht hinab: „Robin! Hier ist Besuch!“ Sein Gebrüll ließ Marian zusammenzucken und riss sie aus ihrer Versunkenheit.

Robin blickte zu ihnen hinauf und versuchte, durch den Schleier des herabrauschenden Wassers etwas dort in der Höhe zu erkennen. Doch er konnte nur schemenhaft ein paar Gestalten ausmachen, Bulls Stimme aber hatte er erkannt. Dann kam er gewandt heraufgeklettert. Als Robin näher kam und Marian erkannte, zog ein Lächeln über sein Gesicht, und er beschleunigte seine Schritte.

Marian ging ihm entgegen, vorsichtig, denn der Pfad an der Felswand hinab war steil und uneben, zusätzlich noch rutschig vom Sprühnebel des Wasserfalls. Gleichzeitig versuchte sie, sich wieder zu sammeln und eine unbeteiligte Miene aufzusetzen. Schließlich blieb er direkt vor ihr stehen, immer noch lächelnd. „Hallo“, war alles, was er sagte.

Als Robin so heftig atmend vor ihr stand, verspürte Marian ein ungewohntes, jedoch nicht unangenehmes Herzklopfen, und als sich ihre Augen begegneten, hatte sie die ausgefeilte Rede, die sie sich zurechtgelegt hatte, schon wieder vergessen. Fieberhaft suchte sie nach Worten.

Was machst du denn hier?“, stieß sie schließlich hervor.

Robins Lächeln wurde noch breiter. „Ich folge dem Rat einer Lady.“

Marian schaute etwas verwirrt, aber als ihr aufging, worauf er anspielte, lächelte sie amüsiert. Robins Blick wanderte zu Bull und Much. Er bemerkte die Blutspuren auf Bulls Gesicht und Kleidung und seine geschwollene Nase.

Bull, was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte er. Der so angesprochene errötete etwas und stotterte: „Wir...wir wurden überfallen, Robin, von zehn...“

Much kam ihm zu Hilfe. „Zwölf!“

Bull setzte noch einen drauf: „...fünfzehn Männern. Riesenkerle!“ Er deutete die Größe mit den Händen an. Sarah drehte sich zu ihm um. „Ach, ja?“ fragte sie sarkastisch.

Aber Bull bemerkte ihre Ironie gar nicht. „Ja!“ bestätigte er nachdrücklich.

Robin lachte und blinzelte Marian zu. Sie konnte nicht anders, als sein Lachen zu erwidern.


Robin geleitete Marian ins Lager der Geächteten. Sarah, Bull und Much folgten ihnen. Stolz deutete er von einem Hügel am Rand der Lichtung auf die Szenerie, die vor ihnen lag. Marian sah Menschen geschäftig durcheinander laufen, viel mehr, als sie sich jemals vorgestellt hatte. Wohin sie auch blickte, sah sie reges Treiben, manchmal klang Gelächter über das Geräusch vieler Stimmen. Immer wieder kamen Trupps aus dem Wald mit Wild und Feuerholz zurück. In ihren braunen Kleidern sahen die Gestalten selbst wie ein Teil des Waldes aus.

Marians Augen weiteten sich erstaunt. „Du warst fleißig“, sagte sie anerkennend zu Robin.

Der lächelte geschmeichelt und rief hinunter: „Wir haben Gäste!“ Die Stimme von Little John antwortete ihm: „Dann bring’ sie runter.“

Robin führte sie durch das Dorf, an dem immer noch gebaut wurde, zur anderen Seite der Lichtung. Dort übte sich eine Gruppe Geächteter, unter ihnen Little John und Wulf, im Bogenschießen, angeleitet von Sayeed und Aseem. Ihre Pfeile bohrten sich zielsicher in die Lumpenpuppen mit den aufgemalten Zielscheiben, die zwischen den Bäumen hingen. Robin ging geradewegs dort hin.

Die beiden Mauren wandten Marian den Rücken zu, aber sie erkannte Aseem, der sie bei ihrer ersten Begegnung so wortreich und ausgesucht höflich begrüßt hatte. Doch die ebenfalls in maurische Tracht gekleidete Gestalt neben ihm erkannte sie nicht. Sayeed trug im Lager schon lange Turban und Schleier nicht mehr und das Haar fiel ihr inzwischen wieder bis auf den Rücken. Marian starrte grübelnd auf die schmale Gestalt mit den silbrighellen Haaren dort vorne.

Als sie fast dort waren, rief Robin: „Sayeed, Aseem! Wir haben Gäste!“ Die beiden Angesprochenen drehten sich um. Aseem lächelte erfreut und verbeugte sich auf orientalische Art, mit den Fingerspitzen nacheinander Herz, Mund und Stirn berührend. Aber Marian starrte nur auf die Gestalt neben ihm. Auch Sayeed neigte grüßend den Kopf. Doch dann erwiderten beunruhigende grüne Augen Marians Blick so durchdringend, als wollten sie auf den Grund ihrer Seele blicken. Marian konnte den Blick nicht lösen, irgendetwas war seltsam an diesen Augen ….da wurde ihr schlagartig klar, dass sie den anderen Mauren vor sich hatte, den verhüllten, stummen.

Das war eine Frau und ganz bestimmt keine Mohrin! Sie warf Robin einen fragenden, leicht empörten Blick zu, doch dieser bemerkte ihn nicht. Sayeed und Aseem dagegen schon. Sie tauschten einen wissenden Blick, Sayeed hob die Augenbrauen und beide lächelten kurz, dann wandten sie sich wieder dem Gast zu. Marian hatte ihre stumme Zwiesprache wohl bemerkt. Waren die beiden etwa ein Paar? Sie beschloss, erst einmal nichts zu sagen, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Bogenschützen.

Little John schoss gerade einen Pfeil auf eine der Puppen. Der Pfeil traf gerade noch den inneren Kreis, aber John lachte laut, stolz auf seinen Schuss. Er blickte wohlgefällig auf Wulf herab, der wie immer unzertrennlich an der Seite seines Vaters stand, ebenfalls mit einem Bogen in der Hand. „So, mein Lieber, nun lass uns mal sehen, wie genau du den Kerl triffst“, sagte John zu seinem Sohn.

Wulf hob den Bogen, der nur wenig kürzer war als der seines Vaters und ihn bei weitem überragte, legte eifrig einen Pfeil auf die Sehne und zielte sorgsam und ohne Eile. Als er den Pfeil abschoss, fuhr er neben den seines Vaters, mitten ins Schwarze. Little John brachte einen Moment lang den Mund nicht mehr zu, dann röhrte er begeistert los und schlug seinem tüchtigen Sohn anerkennend die Pranke auf die Schulter. Die anderen Zuschauer beglückwünschten Wulf zu seinem Meisterschuss. Sayeed stand im Hintergrund, die Hände in den weiten Ärmeln ihres Burnus’, auch sie lächelte anerkennend.

Ein guter Schuss, Wulf“, lobte ihn nun auch Robin, der mit Marian inzwischen herangekommen war. „Aber kannst du es auch, wenn du abgelenkt wirst? Wenn es darauf ankommt?“

Er bedeutete dem Jungen, es noch einmal zu versuchen. Wulf legte selbstbewusst einen neuen Pfeil ein, kniff ein Auge zu und zielte konzentriert. Deshalb bemerkte er nicht, dass Robin einen Pfeil aus seinem Köcher genommen hatte. Damit kitzelte er ihn plötzlich hinter dem Ohr. Wulf fuhr überrascht herum, sein Pfeil flog weit am Zielkreis vorbei und traf gerade noch die Figur selbst. Little John schnaubte ungehalten und funkelte Robin vorwurfsvoll an. Auch die anderen äußerten sich bedauernd.

Und, kannst du es denn besser?“ fragte Marian mit einem schelmischen Blick zu Robin.

Dieser lächelte selbstbewusst, strich Wulf entschuldigend über das Haar, trat vor und legte einen Pfeil auf seinen Bogen. Er spannte ihn langsam und fixierte das Ziel. Little John stieß unvermittelt einen Schrei aus und klatschte in die Hände. Aseem und Sayeed lächelten amüsiert über die Versuche der Männer, Robin aus dem Konzept zu bringen. Die Waldmänner hüstelten, pfiffen und scharrten mit den Füßen. Robin aber stand wie ein Fels, hielt den Bogen gespannt und blieb auf das Ziel konzentriert. Doch nun beugte sich Marian vor und blies ihm ins Ohr.

Robin zuckte zusammen und ließ die Sehne fahren. Der Pfeil schwirrte ungezielt davon und flog nicht nur am Zielkreis vorbei, sondern traf nicht einmal den Baum, an dem die Figur hing. Little John und die zuschauenden Waldmänner brüllten vor Lachen und stießen einander bedeutungsvoll an. Robin warf Marian einen vorwurfsvollen Blick zu, aber auch sie lachte nur. „Gut gemacht“, sagte sie voller Ironie, „wirklich gut gemacht!“

Er versuchte, seinen finsteren Blick beizubehalten, doch dann musste er selbst breit und etwas verlegen grinsen. Er warf Sayeed einen kurzen Blick zu. Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte sie ihn wieder ganz unbefangen an. Dann schweiften ihre Augen zu Marian. Sie neigte kurz mit einem verschwörerischen Blick zu Robin den Kopf. Dieser bemerkte, dass Marian diese Geste nachdenklich beobachtete. Und er wusste, dass er einiges würde erklären müssen. Aber nicht jetzt.

Erst einmal führte er Marian weiter durch das Dorf. Sie bemerkte Bruder Tuck, der würdig mitten im Lager auf einem Baumstumpf thronte, vor sich einen offenen Sack Korn und um sich herum zu seinen Füßen eine eifrige Menge Schüler.

Dies hier“, sagte er soeben, „ist Korn.“ Er nahm eine Handvoll aus dem Sack und ließ die Körner langsam zurückrieseln. „Jeder Narr kann es essen, so wie es ist. Doch unser Herr hat es für eine göttlichere Art des Verzehrs ausersehen. Meine Freunde, ehren wir unseren Schöpfer, indem wir die edle Kunst des Bierbrauens damit praktizieren...“

Nicht weit davon bemerkte Marian ein paar Männer, die sich die Zeit mit Würfelspiel vertrieben. Ihr Einsatz waren diverse Goldmünzen, bemerkte sie schockiert. Doch sie sagte nichts, sondern folgte Robin weiter. Der blieb vor einer riesigen alten Eiche am Rande der Lichtung stehen. Hoch oben in ihrem weiten Geäst befand sich eine einfache Hütte, zu der eine grob zusammengezimmerte Leiter hinaufführte. Marian blickte sie zweifelnd an. Robin aber lächelte aufmunternd, und so hob sie ihre Röcke und stieg anmutig hinauf. Robin folgte ihr und versuchte, nicht allzu offensichtlich auf ihren Hintern zu starren, der sich direkt in seinem Blickfeld befand.

Die Leiter endete an einer geräumigen Plattform, wo sie kurz stehen blieben, bis Marian ein wenig durchgeatmet hatte. Sie besah sich das kleine Baumhaus und war nicht übermäßig beeindruckt.

Geh hinein und sieh dich um“, sagte Robin geheimnisvoll. „Ich bin sicher, du findest den Aufstieg dann der Mühe wert.“

Sie ging betont skeptisch hinein, ein wenig so, als täte sie es lediglich unter Protest und rein aus Gefälligkeit. Im Inneren herrschte ein trübes Halbdunkel. Als sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, bemerkte sie auf dem Boden ein halbes Dutzend Geldkassetten zwischen prall gefüllten Lederbeuteln und wie drapiert wirkenden Ketten und anderen Schmuckstücken. An den Wänden hingen goldene und silberne Teller und Platten. Robin kam lässig hinter ihr herein und öffnete eine der Kassetten. Marian bekam große Augen und rang entgegen ihrer Absicht angesichts der unglaublichen Menge Goldes vor sich nach Atem.

Dann erinnerte sie sich an die spielenden Männer und schaute Robin entrüstet an. „Hast du mich etwa hierher geführt um anzugeben?“ Robin sah sie erst verwirrt an, dann ging ihm auf, was sie störte.

Das ist Blutgeld, Marian“, erklärte er, „um die Feinde König Richards zu kaufen, damit sie sich gegen ihn erheben.“ Marian schaute ihn verständnislos an. „Wir haben es abgefangen“, ergänzte Robin.

Marians Blick wanderte über die versammelten Reichtümer. „Aber wer würde...“ stammelte sie.

Nottingham“, sagte Robin nachdrücklich.

Marian schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein“, erwiderte sie, „Nottingham würde nicht wagen, den König herauszufordern.“ Aber sie hörte selbst, wie unsicher sie schon klang.

Der König ist nicht in England“, sagte Robin eindringlich. „Er kann nicht herausgefordert werden. Seine Abwesenheit könnte ihn sein Land kosten.“

Marian starrte schockiert wieder auf das Gold und dann auf Robin. Er wandte kurz den Blick ab, dann hob er ihn wieder und lächelte amüsiert. „Du dachtest wohl, ich behielte das alles für mich selbst, nicht wahr?“

Marian errötete leicht und lachte verlegen. Peinlich berührt, dass er ihre Gedanken erraten hatte, griff sie in ihr Gewand und brachte den juwelenbesetzten Dolch des Sheriffs zum Vorschein. „Hier. Als Beitrag für deine Sache.“ Sie hielt das wertvolle Stück Robin entgegen.

Der starrte auf den exquisit gearbeiteten Dolch in Marians Hand. Ihre Finger zitterten kaum merklich. „Behalte ihn.“

Dieser Dolch wird einen hohen Preis erzielen“, beharrte Marian. Robin schaute immer noch auf die Waffe. „Behalte ihn“, sagte er noch einmal.

Oh, nein, nein“, wehrte Marian ab. „Der Dolch bedeutet mir nichts. Ich meine...ja doch... ach, gar nichts...“ Sie brach ab, weil ihr klar wurde, dass sie jetzt nicht die richtigen Worte finden würde. Hektische rote Flecken erschienen auf ihren Wangen. „Ich muss gehen.“

Sie legte fahrig den Dolch auf einen der Truhen, knickste völlig grundlos, eilte zur Tür und ließ Robin stehen. Er errötete heftig und wünschte, er hätte die Situation klüger genutzt. Zornig starrte er auf diesen vermaledeiten Dolch, doch dann besann er sich und steckte ihn in sein Wams. Es gefiel ihm, ihn dort zu spüren, als habe er nun einen Teil Marians für immer bei sich.

Marians Stimme holte ihn aus seiner Versunkenheit. „Wie komme ich wieder herunter?“ hörte er sie ratlos fragen. Er folgte ihr nach draußen.

Auf der Plattform sah er, dass Marian sich suchend umherschaute. Sein Blick schweifte einen Moment über die ganze Baumfestung, die sie hier gebaut hatten, über all die Hütten in den Kronen der Bäume und die Verbindungsbrücken und Plattformen. Er war ein gutes Gefühl zu wissen, was die Waldmänner und er hier geleistet hatten.

Dann wanderte sein Blick zurück zu Marian. Er lächelte, als er sah, wie sie nervöse Blicke um sich warf, weil sie sich die Leiter nicht heruntertraute. Robin trat zu ihr und sagte lächelnd: „Wir klettern nicht mehr hinunter.“ Er griff nach einem Tau, das neben ihm hing und legte gleichzeitig den anderen Arm um Marians Taille.

Oh, da bin ich aber froh, das zu hören“, antwortete sie erleichtert. „Halt dich an mir fest“, meinte Robin noch, dann stellte er einen Fuß in die Schlinge des Taus und stieß sich von der Plattform ab. Ein leiser Schreckenslaut entfuhr Marian und sie klammerte sich an ihm fest. Aber sie sanken nur langsam herunter, während ein Sack und zwei Fässer als Gegengewicht in die Höhe gehoben wurden.

Wir haben hier ein Gesetz“, sagte Robin leichthin, während er sich wünschte, nie unten anzukommen. Zu gut fühlte es sich an, Marian so nah zu spüren. „Wer den Weg zu unserem Lager einmal gesehen hat, darf es nicht mehr verlassen. Es stehen zu viele Leben auf dem Spiel.“

Viel zu früh spürte er den Boden unter seinen Füßen. Marian ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und lächelte ihn an. „Ich weiß. Deshalb haben Sarah und ich darum gebeten, dass sie uns die Augen verbanden.“

Ach“, sagte Robin nur enttäuscht. Doch dann hellte sich sein Gesicht wieder auf. „Nun, vielleicht möchtest du zum Essen bleiben?“

Marian lächelte. „Vielleicht.“

Weiter: Teil 30 – Das Fest