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Robin Hood - König der Diebe

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Teil 30 – Das Fest


Die Nacht brach herein, und über das ganze Lager verbreitete sich Bratenduft, als die Geächteten zu feiern begannen. Ein großes Feuer loderte in der Mitte der Siedlung und alle versammelten sich darum, schmausten und lachten. Musikanten spielten etwas, wozu man ebenso singen wie tanzen konnte, und wenn auch mehr Begeisterung als Können dabei war, so kümmerte dies niemanden. Feurige Tänzer, unter ihnen auch Much und Sarah, wirbelten im Widerschein des Feuers herum.

Aseem betrachtete die Tänzer schweigend. Er saß ein wenig abseits von den anderen vor dem Zelt, dass er zusammen mit Sayeed errichtet hatte. Doch seit sie mit Will Scarlet zusammenlebte, bewohnte er es allein. Nur so war es zu erklären, dass die Firststange des Zeltes nun von einem bronzenen Halbmond bekrönt wurde. Seither hatte Sayeed es nicht mehr betreten.

Die englische Musik klang in seinen orientalischen Ohren grob und ungeschlacht, die Gefühle der tanzenden Paare jedoch und den Ausdruck in ihren Gesichtern konnte Aseem durchaus nachempfinden. Nicht zum ersten Mal wurde ihm schmerzhaft bewusst, wie weit er hier, in diesem fremden Land, von seiner Heimat und denen, die er liebte, entfernt war.

Er sah sich suchend nach Sayeed um. Sie stellte für ihn eine Verbindung zu seiner Heimat dar und doch auch wieder nicht. Wie er stammte sie aus den Wüsten des Orients, sie trugen die gleiche Kleidung und sprachen die gleiche Sprache; aber Sayeeds Ethik und ihre Ansichten unterschieden sich so sehr von denen seines Volkes, das sie genauso gut am anderen Ende der Welt hätte leben können. Seit er Sayeed kannte, zweifelte er an seinen Erinnerungen. Die Angehörigen ihres Volkes, die er aus seiner Kindheit zu kennen glaubte, erschienen ihm nun wie Figuren aus TausendundeinerNacht, nicht mehr wie reale Menschen. Zu sehr unterschied sich die tatsächliche, lebendige Sayeed von den sagenhaften Gestalten, die sein Gedächtnis ihm zeigte.

Endlich fand er sie in der Menge. Sayeed saß fast auf der anderen Seite des Feuers. Von den flackernden Flammen geblendet, kniff Aseem die Augen zusammen. Dann lächelte er. Sayeed lehnte an Will Scarlets Brust, er hatte einen Arm um sie gelegt und den Kopf über ihre Schulter geneigt. Offenbar sagte er gerade etwas. Ihr Gesicht war ihm zugewandt, der Mund leicht geöffnet, sie schien ihm aufmerksam zu lauschen.

Die beiden waren ein wirklich schönes, wenn auch ungewöhnliches Paar, das musste Aseem zugeben. So verschieden sie auch wirkten, zusammen strahlten sie eine so offensichtliche Harmonie aus, dass es eigentlich nicht mehr zu übersehen war. Nur Robin schien diese Tatsache noch immer nicht akzeptieren zu können. Aseem seufzte leise. Sayeed hatte ihren Platz gefunden, im Gegensatz zu ihm. Immer noch fühlte er sich als Fremder in dieser Gemeinschaft.

Jetzt bemerkte er, dass ihre Augen auf ihm ruhten Und er konnte selbst auf diese Entfernung erkennen, dass sie wusste, was in diesem Moment in ihm vorging. Aseem lächelte ihr herzlich zu, doch sie legte mit ernster Miene die Hand auf ihr Herz zum Zeichen, dass sie mit ihm fühlte. Erst Will Scarlet unterbrach ihre lautlose Zwiesprache, als er Sayeed auf die Wange küsste, aufstand und davon ging. Sayeed sah ihm lächelnd nach. Aseem wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Tänzern zu. Niemand von ihnen bemerkte, dass auch Marian, die mit Robin ebenfalls am Feuer Platz genommen hatte, Sayeed und Will genau beobachtete.

Eines der Kinder näherte sich Aseem mit unverhohlen neugierigen Augen, den nicht besonders sauberen Zeigefinger im Mund. Aseem lächelte ihm zu. Es war die jüngste Tochter Little Johns, vielleicht vier Jahre alt, mit langen dunklen Locken und großen Rehaugen. Sie würde einmal eine Schönheit werden, die den Männern gehörig den Kopf verdrehte, dachte Aseem.

Salaam“, begrüßte er die Kleine, berührte die Stirn mit der Hand und deutete eine Verbeugung an.

Die starrte ihn mit großen Augen an. „Hat der liebe Gott dich angemalt?“ fragte das Mädchen.

Verblüfft entgegnete Aseem: „Ob Gott mich angemalt hat?“ Er lächelte amüsiert, während er kurz darüber nachdachte, was er einem so kleinen Kind darauf antworten konnte. Dann nickte er und sagte: „Gewiss.“

Warum?“, kam es folgerichtig von der Kleinen. Aseem lachte. Kinder waren auch überall auf der Welt gleich. Ein Stich durchfuhr ihn, als er an die dachte, die er wohl niemals wiedersehen würde. Aber dann schob er diesen Gedanken energisch beiseite und widmete seine Aufmerksamkeit ganz dem Mädchen vor ihm.

Weil Allah die wunderbare Vielfalt liebt“, antwortete Aseem sanft. „Weißt du, deswegen ist ja dein Haar braun und deine …“

Er brach ab, als Bruder Tuck plötzlich aus der Dunkelheit auftauchte, seine Hand schwer auf die Schulter des Kindes legte und Aseem mit hasserfülltem Blick anstarrte. „Verdirb nicht die Ohren dieses unschuldigen Kindes mit deinen heidnischen Worten oder du bekommst es mit mir zu tun“, schimpfte er böse. „Du weißt nichts von unserem Gott!“ Aggressiv funkelte er Aseem an.

Der erwiderte seinen Blick, ohne eine Reaktion zu zeigen. Ruhig entgegnete er dem wütenden Mönch: „Ist nicht Allah der Gott Abrahams, genau wie euer Gott?“

Tuck schwieg verdutzt einen Moment, dann zischte er ihn an: „Täusche mich nicht mit deinen teuflischen Wortverdrehungen!“ Er sprang auf und zerrte Little Johns kleine Tochter rücksichtslos hinter sich her zu den anderen zurück.

Aseem blickte ihm wortlos nach, in seinem Gesicht war immer noch keine Reaktion zu erkennen, weder Zorn noch Betrübnis. Dann schaute er zu Sayeed empor, die wie aus dem Boden gewachsen plötzlich neben ihm stand, die Hand am Griff ihres Schwertes. Sie starrte dem Mönch mit blitzenden Augen nach; ihr Gesicht drückte aus, was Aseems nicht zeigte: Verachtung und Wut – mörderische Wut.

Aseem erkannte erschrocken, wie knapp Bruder Tuck dem Tod oder zumindest einem heftigen Angriff entgangen war. Sayeed war dem Mönch seit seiner Ankunft möglichst aus dem Weg gegangen, obwohl dieser keine Gelegenheit ausließ, gegen die beiden Mauren zu hetzen. Zuerst ganz offen, als er aber von Robin deswegen zurechtgewiesen worden war, im Geheimen. Er fand bei den Geächteten kaum Gehör, aber das schien ihn nicht zu beirren.

Rasch erhob Aseem sich und legte begütigend seine Hand auf Sayeeds Arm. Ihr Zorn richtete sich nun gegen ihn, wütend funkelte sie ihn an. „Beachte ihn nicht“, sagte Aseem leise und betont ruhig, „Er ist nur ein ungebildeter Barbar, der nicht einmal seine eigene heilige Schrift lesen kann. Sein Glaube gründet sich auf Hörensagen und Legenden.“

Die Wut in ihren Augen verschwand langsam, endlich nickte sie ihm zu und lächelte schwach. Doch Aseem wusste, dass er die Situation nur kurzzeitig entschärft hatte. Er würde mit Robin darüber sprechen müssen. Sayeed und Tuck – das musste früher oder später in einer Katastrophe enden.

Der schwelende Konflikt zwischen Robin und Will Scarlet war schon belastend genug, dachte Aseem mit einem lautlosen Seufzer, aber Sayeeds Hass konnte wesentlich gefährlicher werden. Wenn sie zu dem Schluss käme, dass der Mönch den Tod verdient hatte, würde nichts und niemand sie daran hindern, dieses auch in die Tat umzusetzen. Und er konnte sich deutlich ausmalen, was es für sie – und für ihn - bedeuten würde, sollte sie Tuck verletzen oder gar töten.

Da verklang die Musik. Die Musiker pausierten, um ihre trockenen Kehlen anzufeuchten, ehe sie weiterspielten. Will Scarlet trat plötzlich in den Schein des Feuers. Er hielt eine Laute in den Händen und ringsum im ganzen Lager erhob sich Protestgeschrei, denn die Leute wussten, was jetzt folgen würde. Er ignorierte es wie immer souverän, nahm eine bedeutungsvolle Pose ein und begann seine Laute auf eine Art zu schlagen, als fürchte er, dass sie sich wehren würde.

Aseem sah aus den Augenwinkeln, wie Sayeeds Miene sich entspannte. Ein spöttisches und gleichzeitig liebevolles Lächeln erhellte ihr Antlitz. Er atmete erleichtert auf.

Sayeed suchte Wills Blick, dieser erwiderte ihn verschwörerisch. Ihm bereitete es einen diebischen Spaß, den Waldmännern den enthusiastischen, aber völlig unmusikalischen Sänger vorzuspielen. Denn in Wirklichkeit besaß er eine klare, volltönende Stimme, der Sayeed immer mit Vergnügen lauschte. Wenn sie allein waren, sang er ihr oft die Lieder vor, die seine Mutter ihn gelehrt hatte. Die englischen Melodien klangen fremd in ihren Ohren, doch wovon sie sangen, war wohl überall auf der Welt gleich. Wie sehr wünschte sie sich, mit ihm singen zu können.

Will Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Er verkündete gerade mit großer Gebärde: „Ein Lied über…die Liebe!“ Entsetztes Stöhnen aus der Menge der Waldleute war die Antwort, was ihn aber in keinster Weise von seinem Vorhaben abhielt. Während seiner „Darbietung“ bewegte er sich langsam um das Feuer herum. Als er fertig war, blieb er vor Robin stehen, der Seite an Seite mit Marian saß und ebenfalls dem Fest zusah. Will starrte ihn herausfordernd an. Doch Robin reagierte nicht auf seine Provokation und nach einem kurzen Moment ging Will wortlos davon.

Marian blickte Will nach, bis er schließlich wieder in die Schatten jenseits des Feuers eintauchte. Sie bemerkte auch, dass dort Sayeed auf ihn wartete. Schemenhaft war zu erkennen, wie sie den Arm um ihn legte und er sie an sich drückte. Dann setzten sie sich wieder zu den anderen. Dort steckten sie die Köpfe zusammen; Will schien ihr etwas zuzuflüstern und Sayeed lachte.

Ein erstaunliches Paar, dachte Marian. Die beiden schienen überhaupt nicht zueinander zu passen. Und dann die Verbindung zu Robin. Sayeed begleitete ihn anscheinend schon so lange wie Aseem. Und der junge Mann schien offenbar noch eine Rechnung mit ihm offen zu haben. War er eifersüchtig auf ihn? Erstaunlich jedenfalls, dass Robin bei dessen eindeutiger Provokation so ruhig blieb.

Ein Seitenblick verriet Marian, dass Robin die Szene ebenfalls aufmerksam beobachtete. „Ein seltsamer Bursche“, murmelte sie stirnrunzelnd. „Was hat er gegen dich? Ist es wegen der Frau?“

Robin warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, dann sagte er ausweichend und um einen gleichmütigen Tonfall bemüht: „Es ist nicht das erste Mal, dass er so etwas tut.“

Das hatte sie auch schon vermutet, dachte Marian spöttisch. Doch sie spürte sehr wohl, dass ihm dies keineswegs so gleichgültig war, wie er tat. Sie musterte ihn eindringlich, fragte aber nicht weiter. Dann legte sie, fast gegen ihren eigenen Willen, ihre Hand auf seinen Rücken und sagte stattdessen leise: „Erzähl mir von diesen Narben.“

Warum? Nur die Erinnerung an sie schmerzt noch.“

Marian aber wich seinem Blick nicht aus. „Weil ich gerne wissen möchte, wie ein einstmals hochfahrender junger Adliger dazu kommt, an dem rauen Leben unter solch einfachen Menschen Genüge zu finden.“

Robin blickte langsam über das Lager der Waldmänner hin, beobachtete, wie die Menschen feierten, und wusste, dass sich sein Stolz auf sie in seinem Gesicht widerspiegelte. „Ich habe Ritter in voller Rüstung angesichts der ersten Anzeichen einer Schlacht in Panik ausbrechen sehen. Und ich habe gesehen, wie der niedrigste unbewaffnete Knappe sich einen Speer aus dem Leib zog, um ein sterbendes Pferd zu verteidigen. Adel ist kein Geburtsrecht. Er wird allein erworben durch Taten.“ Er schwieg nachdenklich und schaute zu Boden.

Marian sagte leise: „Interessant, dass du das sagst.“ Es war halb eine Frage.

Robin lächelte kurz. „Das habe nicht ich gesagt, das war mein Vater.“

Beide schwiegen. Dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm und fragte: „Hat der Kreuzzug deinen Hass auf ihn ausgelöscht?“

Robin sah wieder zu Boden. „Ich weiß nicht“, antwortete er zögernd. „Ich weiß nur, dass die letzten Worte, die wir gewechselt haben, im Zorn gesprochen wurden.“ Robin lächelte traurig und ließ seinen Blick über die Feiernden schweifen. „Ich war verlassen nach dem Tod meiner Mutter. Mein Vater fand für kurze Zeit spärlichen Trost in den Armen einer anderen Frau, einer Bäuerin. Ich hasste ihn dafür und beschuldigte ihn, meine Mutter verraten zu haben.“

Leise fragte Marian: „Und, gab er sie auf?“

Robin nickte. „Für die Liebe eines Zehnjährigen, der ihm nie verzieh.“ Er spürte, dass seine Stimme ihm nicht mehr gehorchen wollte und hielt inne. Marian sah ihn mitfühlend an. Als er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, sprach er weiter: „Als ich alt genug war, schloss ich mich deshalb auch den Kreuzfahrern an und zog mit ihnen in den Orient. Es war eine Suche, aber ich fand nur Schrecken und Blut.“ Seine Stimme verklang.

Marian musterte ihn mit neuen Augen. Dann sah Robin sie mit festem Blick an. „Wie auch immer, wer sagt denn, dass ich an dem hier Genüge fände?“ sagte er betont fröhlich. „Es ist ja nicht so, als hätte ich keine Pläne für meine Zukunft.“

Marian ging auf seinen Stimmungsumschwung ein. „Ach ja?“ sagte sie lächelnd. „Ein größeres Vorhaben als dieses?“ Sie machte eine Geste, die das ganze Lager umfasste.

Nein, ein einfacheres. Ein Heim, Familie ... Liebe.“

Marian lachte leise und schüttelte den Kopf. „Männer sprechen immer gern von Liebe und Gefühlen, wenn es ihren Zwecken dient. Und wenn nicht, ist sie mit einem Mal eine Last für sie.“ Sie blickte ihn forschend an, und obwohl ihre Stimme spöttisch klang, waren ihre Augen doch sehr ernst. „Robin Hood, König der Diebe ... Ist er überhaupt fähig zu lieben?“

Mit einem Mal hatte Robin einen Kloß im Hals. Der flackernde goldene Widerschein des Feuers zitterte über Marians Gesicht, und er dachte, dass sie ihm nie schöner erschienen war als jetzt im Augenblick. Er rückte noch näher an sie heran, und sie bewegte sich nicht. Ihr Gesicht näherte sich dem seinen, und er konnte ihren Atem auf seinen Lippen spüren.

Doch in diesem Augenblick zerriss ein angstvoller Schrei den Zauber, Marian sah fort. Robin verwünschte stumm den Augenblick. Wulf war es, der geschrien hatte. Tränenüberströmt rannte er auf seinen Vater zu.

Vater! Komm schnell! Mutter stirbt!“


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