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Teil 4 – Locksley Castle Die Steinmauern von Locksley Castle standen immer noch stolz und trutzig, obwohl Wind und Regen über die Jahrhunderte arg an ihnen genagt hatten. Die Türme waren efeuumrankt, und das Wasser im Graben war schmutziggrün. Locksley Castle hatte schon bessere Tage gesehen. Um die Türme und die zerfallenden Zinnen waberte der Nachtnebel, und eine dünne Rauchfahne aus einem Kamin war das einzige Zeichen von Leben. In der Halle saß Lord Locksley an einem schweren Tisch und schrieb. Nur ein alter Wolfshund, der neben dem Tisch auf einer Decke schlief, leistete ihm Gesellschaft. Er widmete sich dem Schreiben mit der Sorgfalt eines Mannes, der es nicht gewohnt war. ‚Werter Sir, man hat mir berichtet, Ihr habet in dem Heiligen Lande gefochten, zusammen mit meinem geliebten Sohne Robin, welchen ich seit nunmehr sechs Jahren nicht mehr gesehen. Wart Ihr Zeuge seiner Gefangennahme zu Akko? Ist Euch der Name des Herrschers bekannt, der ihn gefangen hält? Hegt Robin noch immer Groll gegen mich? Gewährt mir Nachricht, werter Sir, ich bitte Euch und wäre es nur wenig. Ich gäbe alles hin, was ich besitze, könnte ich ihn damit befreien...’ All das an einen Ritter, den er kaum beim Namen kannte, geschweige denn nach seinem Ruf. Aber er musste es einfach versuchen. Er gab seinen Sohn nicht so einfach auf. So wie Robin, daran hatte er keinen Zweifel, ebenfalls niemals aufgegeben hätte. Wenn sein Sohn noch lebte, kämpfte er mit Sicherheit bis zum letzten Atemzug um seine Rückkehr nach England. Wenn er noch lebte... Langsam setzte er seinen Namen unter den Brief und streute dann Sand aus der Streubüchse darüber, um die Tinte zu trocknen. Dabei wanderte sein Blick zu dem Porträt an der gegenüber liegenden Wand. Es zeigte einen selbstbewussten jungen Mann mit ernstem Gesicht, aber lachenden Augen. Robin von Locksley. Vermisst, gefangen, vermutlich tot. Er blickte auf den vor ihm liegenden Brief. Einer von so vielen, die er über die Jahre geschrieben hatte, ohne kaum jemals Antwort zu erhalten. Die gleichen alten Worte, die gleiche vage Hoffnung. Er überflog seinen Brief noch ein letztes Mal, und in seinen Ohren klangen die längst bekannten Worte wie eine alte traurige Weise, deren scharfe Kanten die Zeit abgeschliffen und geglättet hat, die aber immer noch imstande ist, dem, der sie hört, das Herz zu brechen. Seufzend faltete er das Pergament zusammen. Er blickte verdrossen auf die Korrespondenz, die auf dem Tisch vor ihm verstreut herumlag, und musste der Versuchung widerstehen, sie mit einer unwirschen Armbewegung vom Tisch zu wischen. Papier, Papier, nicht als Papier! Mieten und Zehnte und Steuern und Urteile und Politik und was es sonst noch Tag für Tag an Papierkram gab und ihm so viel seiner Zeit nahm. In Wirklichkeit war doch alles bedeutungslos. Nichts überhaupt war noch von irgendeiner Bedeutung, jetzt, wo er ganz auf sich allein gestellt war. Seine Freunde waren in den Kreuzzügen verschollen oder hatten sich von ihm losgesagt, als er sich geweigert hatte, gemeinsame Sache mit den Möchtegern-Königsmachern zu machen, die sich um Prinz John geschart hatten. Sie wurden immer dreister und täglich unverschämter, je länger König Richard in der Ferne weilte. Er knurrte verdrossen. Der König war zu lange fort. Und wenn die Katze aus dem Hause war, probten die Ratten den Aufstand. Er wusste nur zu genau um diejenigen, die sich bereits für John als König entschieden hatten und sich am Hofe ganz offen für ihn erklärten. Er schniefte laut. Verdammt sollte er sein, wenn er so etwas jemals tat. Seine Ehre und sein Pflichtgefühl waren nicht käuflich. Sie waren ohnehin alles, was ihm geblieben war. Als sein Hund plötzlich aufsprang, knurrend mit gesträubtem Haar dastand und unverwandt zur Tür blickte, mit hochgezogenen Lefzen und gefletschten Zähnen, blickte er beunruhigt auf. Aus der Halle waren Rufe und Unruhe zu vernehmen. Er zog vorsichtshalber seinen Dolch aus der Scheide unter seinem Gewand und legte ihn vor sich auf den Tisch, in Reichweite, aber verborgen unter seinen Briefen. Falls es aus irgendeinem Grunde zum Äußersten kommen sollte. Die Tür flog auf, und eine zerlumpte Gestalt drang herein. Sie erwehrte sich mit wilder, fast hysterischer Heftigkeit dem Griff eines älteren Mannes. Locksley entspannte sich ein wenig. Er kannte sie beide. Duncan, sein Majordomus, war sein Leben lang Gefolgsmann in seinem Hause gewesen und hatte strenge Ansichten über alles, was korrektes Verhalten und Benehmen betraf. Sogar in einem solchen Maße, dass er zuweilen vergaß, wer hier eigentlich der Herr war. Doch er war ein guter Mann, loyal und treu, und Locksley hätte sich eher die Hand abgehackt, als ihn zu verlieren. Duncan hatte ihm selbst die Treue gehalten, als seines Herrn Brüten und gelegentliches Wüten über den Verlust seines Sohnes viele andere der Dienerschaft fortgetrieben hatte.
Er
musste sich zusammennehmen. Seine Gedanken schweiften schon wieder
ab. Er musste sich auf Der zerlumpte Mann riss sich endlich los und fiel vor ihm auf die Knie. Duncan funkelte ihn an und wandte sich mit aller ihm verbliebenen Würde an seinen Herrn. „Vergebt mir die Störung, my Lord“, erklärte er atemlos, „aber dieser Mensch bestand darauf, Euch zu sprechen und wollte sich nicht abweisen lassen.“ „My Lord, bitte!“ sagte der Mann in den Lumpen. „Ich muss mit Euch sprechen!“ Locksley nickte dem Majordomus zu. „Es ist gut, Duncan. Wo er nun schon einmal hier ist, kann ich genausogut mit ihm sprechen.“ Erst jetzt bemerkte er, dass die Kleider des Mannes zerrissen waren und aus einer klaffenden Wunde an der Schläfe Blut über sein Gesicht lief. „Du bist Kenneth von Crowfall, nicht wahr? Was ist geschehen?“ Der Mund des Mannes öffnete und schloss sich mehrmals, ehe sich ihm ein paar Worte entrangen. „Sie haben meine Gwen geholt. Meine Tochter.“ „Wer?“ fragte Locksley scharf. „Wer hat sie geholt?“ „Männer auf Pferden. Mit Masken.“ Locksley und sein Majordomus tauschen über seinen Kopf hinweg einen alarmierten Blick. Beide ahnten, wer diese Männer gewesen waren. Kenneth hob eine zitternde Hand an seinen blutigen Kopf und schwankte, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte. „Wir haben versucht, sie daran zu hindern. Mein Sohn ist tot.“ Er schwankte wieder; in seinen Augen standen Tränen. Lord Locksley stand entschlossen auf, durchquerte die Halle und griff nach dem schweren Breitschwert in seiner Scheide über dem Kamin. Er lächelte ein wenig, aber es war kein frohes Lächeln. Er nahm das Schwert von der Wand. Sein altvertrautes Gewicht weckte Erinnerungen in ihm. Er mochte ja über die Blüte seiner Jahre hinaus sein, aber er war immer noch der Herr dieses Lehens hier, und niemand griff jemanden seiner Leute straflos an. Er sah hinüber zu Kenneth, der sich unter dem Blick seines Lords ein wenig aufrichtete. „Komm, Kenneth. Wir haben zu tun heute Nacht.“ Er benötigte nur Minuten, seine Leute zu wecken. Er gab seinem Knappen Order, sein Pferd zu satteln, und sandte Boten zum Sheriff, um diesem zu berichten, was sich ereignet hatte. Er zweifelte nicht daran, dass ihm der Sheriff Verstärkung schicken würde, die aber wohl nicht vor morgen früh eintreffen würde. Auch seine eigenen Männer waren über das ganze Land verstreut und konnten nicht so ohne weiteres zusammengerufen werden. Also musste er diese Arbeit selbst erledigen, wie schon so oft. Er verdrängte diesen Gedanken und ermahnte Duncan, ihm gefälligst mit seinem Kettenhemd zu helfen. Der alte Majordomus kam seiner Aufforderung nach, jedoch nicht, ohne betrübt und missbilligend den Kopf zu schütteln und ein Argument nach dem anderen vorzubringen, um Locksley doch noch von seinem Vorhaben abzubringen. Locksley aber ignorierte ihn, richtete sich sein Schwert an der Seite und ging zusammen mit Kenneth hinaus in den Hof, während Duncan hinter ihm herhastete. Es war kalt draußen. Ein schneidender Wind fegte durch die Nacht. Locksley schwang sich in den Sattel seines Lieblingspferdes und bedeutete seinen Leuten, das große Burgtor zu öffnen. Kenneth stand vorne beim Kopf des Pferdes und biss sich auf die Lippen, während er darauf wartete, dass endlich das Tor geöffnet wurde. Duncan lief immer noch aufgelöst um seinen Herrn herum und rang in seiner Aufregung schier die Hände. „Ich bitte Euch, mein Lord, tut das nicht! Wartet auf Männer, die mit Euch reiten können! Oder wartet wenigstens bis zum Morgen!“ Locksley lächelte ihm begütigend aus dem Sattel herab zu. „Das Gute siegt am Ende immer, Duncan. Vertraue darauf. Habe ein Auge auf Haus und Hof, bis ich zurückkehre.“ Locksley trieb sein Pferd an und ritt durch das geöffnete Tor. Kenneth folgte ihm langsam. Vor dem Tor zügelte Locksley abrupt sein Pferd. In einem weiten Halbkreis um das Tor standen zahlreiche verhüllte Gestalten. Sie trugen Fackeln und groteske Masken, die Kapuzen ihrer weiten Umhänge tief über den Kopf gezogen. Teufelsanbeter. In ihrer Mitte wartete ein Berittener in der gleichen Verkleidung. Lord Locksley zog sein Schwert. Hinter ihm tauchte Kenneth auf und rang die Hände. „Verzeiht mir, mein Lord. Aber ich hatte keine andere Wahl“, sagte er flehend, dann floh er in die Dunkelheit. Der Berittene nahm langsam die Maske ab. Locksley blickte in grausame, zynische Augen, und der Atem stockte ihm, als er das Gesicht erkannte. „Ihr...?“ Der Sheriff von Nottingham lächelte mokant. „Locksley.“ Der starrte ihn empört an. „Der König wird davon hören.“ Der Sheriff reagierte nicht auf diese Drohung. „Schließt Euch uns an, Locksley. Oder Ihr seid des Todes.“, sagte er. „Niemals!“ Locksley zog sein Schwert und stieß seinem Pferd die Sporen in die Seiten. Seinen Schlachtruf ‚Für Gott und König Richard’ brüllend stürmte er auf die Angreifer los, die ihrerseits auf ihn zurannten. Wenigstens einige dieser Verfluchten wollte er mit in den Tod nehmen. Doch seine Gegenwehr war aussichtslos. Sie umringten ihn, zerrten ihn mit ihrer bloßen Übermacht vom Pferd und rissen ihn zu Boden. Nottingham trat ganz nahe vor ihn hin, Locksleys Schwert in seiner Hand. Er prüfte die Klinge und lächelte zufrieden. Locksley schloss die Augen. Weiter oben im Tal wandte Kenneth sich ab, als er die ersten gepeinigten Schreie durch die Nacht hallen hörte. Er lief auf den Wald zu, erstarrte aber, als wie aus dem Nichts maskierte Gestalten auftauchten und ihm lautlos den Weg verstellten. Er versuchte zu fliehen. Weit kam er nicht.
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