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Robin Hood - König der Diebe

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Teil 6 – Kein herzliches Willkommen

Die Hundemeute hechelte bellend über das offene Moor ihrer Beute hinterher. Hinter ihnen donnerten die Hufe der Pferde der Reiter, die das Stellen der Beute auf keinen Fall versäumen wollten. Vorneweg ritt Sir Guy von Gisborne, ein hochgewachsener Mann, den man sogar gutaussehend hätte nennen können, wären da nicht sein grimmiges Gesicht und sein fehlendes linkes Ohr gewesen. Er führte immer die Jagd an, und sei es nur, weil ihn niemand in seiner Position herauszufordern wagte. Er war bekannt für sein aufbrausendes Temperament und für die beeindruckende Liste derer, die er getötet hatte.

Er hob den Kopf und blickte mit leicht zusammengekniffenen Augen über das Moor hin. Die Beute lief anscheinend auf den Wald zu und hoffte, ihre Verfolger dort abzuschütteln. Aber er wollte verdammt sein, wenn er das zuließ. Fast eine ganze Stunde jagten sie nun schon, und er hatte sich selbst die Ohren versprochen. Und den Tod der Beute natürlich. Dann entdeckte er im Gebüsch den Hauch einer Bewegung und lächelte zufrieden. Er erhob sich im Sattel und deutete triumphierend dorthin. „Dort!“

Das Gebell der Hunde wurde heftiger, als sie die Witterung der Beute aufnahmen und wieder losrannten, die Köpfe gesenkt, die Bäuche fast am Boden. Der Gejagte riskierte einen kurzen Blick hinter sich und orientierte sich dann zum rettenden Wald hin. Wulf war erst zehn Jahre alt, aber er wusste genau, was passieren würde, wenn die Hunde und die Jäger ihn stellten. Er kämpfte sich mit weiten Sätzen voran, den Mund weit geöffnet, um genug Atem zu bekommen. Er hatte getan, was er nur konnte, um die Verfolger abzuschütteln, hatte alle Tricks angewendet, die es gab, und jede Ortskenntnis ausgenützt, die er besaß, aber die Hunde hatten ihn stets wieder aufgespürt, seine Fährte neu aufgenommen und ihn von einem Versteck zum anderen getrieben.

Er hatte Seitenstechen, seine Beine zitterten, und jeder Atemzug brannte in den Lungen. Der Wald rückte nur langsam näher, und er wusste, dass er es nicht mehr schaffen würde. Das war sein Ende. Aber verflucht sollte er sein, wenn er es ihnen leicht machte. Er fragte sich, ob es große Schmerzen sein würden, und hoffte, dass er dann nicht weinte.

Nicht weit entfernt liefen Robin, Aseem und Sayeed auf einer alten Steinmauer durch das unwegsame Gelände am Rande des Moores nach Norden. Robin schritt lebhaft voran, während ihm die beiden anderen gemächlich folgten. Der Maure war fasziniert von dem schieren Überfluss an Pflanzen und Getier, obwohl es sich in dieser Gegend nur um magere Wiesen, Moor und lichte Wäldchen handelte. Diese Explosion von Leben, durch keine der strikten Gesetze des Wüstenlebens beschränkt, hatte sie schon auf einem großen Teil ihrer Reise begleitet, doch bisher hatte er nicht die Muße gehabt, sie genau zu erkunden. Aber jetzt, wo das Ende ihrer Reise schon so nahe war, fiel die Anspannung der letzten Monate von ihnen allen ab. Hier, in Robins Heimat, waren sie endlich in Sicherheit.

Flüchtig blickte er sich nach Sayeed um. Diese lief schon seit geraumer Zeit mit glühenden Wangen und glänzenden Augen mal vor, mal hinter ihnen her, tauchte in die fremde Vegetation ein, roch an einer Pflanze, zupfte von einer anderen ein Blatt oder eine Beere und kaute darauf herum. Robin hatte ihr Verhalten zuerst befremdet beobachtet; ein paar Mal hatte er erschreckt einen Warnruf ausgestoßen, wenn sie mal wieder etwas in den Mund steckte, was ihm immer einen strafenden Blick von ihr einbrachte. Schließlich, als er endlich akzeptierte, dass Sayeed nichts Giftiges anrührte, hatte er sich wieder beruhigt. Aseem lächelte still in sich hinein. Ihr Schweigen täuschte auch ihn immer wieder darüber hinweg, dass sie eigentlich ein sehr lebhaftes Temperament besaß und sich schon gar nichts sagen ließ. Und wenn sie, so wie jetzt, aus sich heraus ging, versetzte sie sogar ihn noch in Erstaunen.

Warum gehst du eigentlich ständig hinter mir?“ fragte Robin ihn plötzlich.

In diesem Land bin ich der Ungläubige“, antwortete Aseem. „Aus diesem Grund erscheint es mir sicherer, als dein Sklave und nicht als ein Gleichgestellter zu erscheinen.“ Im Gegensatz zu Sayeed, dachte Aseem. Sie scherte sich nicht um Ränge und Hierarchien, sondern reagierte im Gegenteil mit für ihn unerklärlicher und in ihrer Heftigkeit erschreckender Wut, wenn jemand seinen Rang ausspielte.

Robin blieb stehen und drehte sich lachend zu ihm um. „Für einen Ungläubigen denkst du ungewöhnlich klar“, sagte er spöttisch. „Aber ich weiß so gut wie nichts über dich. Zum Beispiel dein Name, Aseem, was bedeutet der?“

Er bedeutet ‚der Große’“, antwortete dieser. Wieder lachte Robin spöttisch. „Was, der Große?“, rief er aus. „Hast du dir diesen Namen selbst gegeben?“ Aseem blieb stehen. Er entgegnete nichts, sah ihn nur tadelnd an und ging dann einfach an ihm vorbei. Robin rief ihm nach: „Das war ein Scherz!“

Dann schaute er mit ausgebreiteten Armen über das weite Land. Überschäumend vor Glück rief er: „Aseem, der Große! Ich bin zuhause!“ Jubelnd tanzte er auf der Mauer entlang. Freudige Erregung hatte mehr und mehr von ihm Besitz ergriffen, je näher sie seiner Heimat kamen und je mehr die vertraute Umgebung alte Erinnerungen weckte. Dann hielt er inne.

Ein Büschel weißer Beeren in einem Baum hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er griff hinauf und pflückte einen Mistelzweig von der überhängenden Eiche. „Mistel“, rief er Aseem zu. „Manche Maid schmolz einst dahin vor mir dank dieser Pflanze...“ Er seufzte tief. „Es scheint eine Ewigkeit her zu sein.“ Der Maure und auch Sayeed kamen neugierig näher und beugten sich über den Zweig in Robins Hand. Sie wechselten einen vieldeutigen Blick, Sayeed zog die Augenbrauen und einen Mundwinkel spöttisch hoch und Aseem lächelte zurück. Dann sah Aseem Robin an und zog nun seinerseits die Brauen hoch. „In meiner Heimat gewinnen wir die Frauen mit Gedichten. Wir betäuben sie nicht mit Pflanzen“, sagte er ironisch.

Sayeed lachte. Ja, dass die Liebeskunst eine Fähigkeit war, die in diesen nördlichen Ländern keinen besonders hohen Stellenwert genoss, war ihr schon in den Monaten ihrer Reise aufgefallen. Robin war ein stattlicher Mann, er konnte sich nicht über mangelnde Gelegenheiten beklagen - und er war bestimmt kein Kostverächter. Und da sie üblicherweise den Schlafplatz teilten, blieben Aseem und Sayeed in dieser Hinsicht keine Geheimnisse verborgen. Was das anging, waren die Menschen hier sehr viel freier als im Orient. Aber die Kunst der Verführung, die Lust am Spiel fehlte, nur Rein-raus, das war’s.

Auch Aseem bekam zu seiner und Sayeeds Verwunderung solch eindeutige Angebote. Auf einige Frauen schien seine fremde, exotische Erscheinung einen besonderen Reiz auszuüben. Aber er lehnte jedes Mal ab. Er trauerte immer noch um die, die er verloren hatte.

Sogar sie selbst musste sich das eine oder andere Mal einer Frau erwehren, die den verhüllten Jüngling, für den sie Sayeed hielt, anscheinend äußerst interessant fand.

Robins vergnügte Entgegnung riss sie aus ihren Gedanken. Er lachte laut. „Was weißt du schon von Frauen? Solange ich dich nun kenne, hast du nicht einmal auch nur eine angesehen. Außer Sayeed – und das ist etwas anderes.“

Aseem und Sayeed sahen ihn einen Moment seltsam an. Robin stutzte, aber da war der Moment schon vorüber. „Wo ich geboren bin“, sagte Aseem eindringlich, „gibt es Frauen von solcher Schönheit, dass sie eines Mannes Geist und Herz beherrschen, so sehr sogar, dass er bereit wäre, für sie zu sterben, mein Freund.“

Er drehte sich wieder um und ging weiter die Mauer entlang, die nun einen steilen Hang hinaufführte. Robin lächelte, als er plötzlich einen Teil des Rätsels, das der Maure für ihn auch jetzt noch war, begriff. „Augenblick... also das ist es? Deswegen solltest du hingerichtet werden? Wegen einer Frau?“

Der Maure versteifte sich etwas, antwortete aber nicht, sondern ging weiter. Robin folgte ihm. Er schwelgte in Entzücken und ließ nicht locker. „Aber natürlich! Eine Frau!“

Aseem reagierte immer noch nicht, er hatte inzwischen den Kamm des Hügels erreicht und sprang von der Mauer. Robin lachte und lief neben ihm weiter auf dem Steinwall entlang. Der Maure seufzte tief. „Es wird spät. Die Sonne geht bald unter.“

Ha!“ sagte Robin und warf den Mistelzweig fort. „Wer war sie, sag? Die Tochter des Mullahs? Das Weib eines anderen? Du bist erkannt, mein Lieber! Wie heißt sie, he?“

Aseem beobachtete weiter den dunkler werdenden Himmel, nahm sein Bündel vom Rücken und holte seinen Gebetsteppich heraus. Er war dabei, ihn auf die Erde zu legen, als er plötzlich zögerte. Er warf einen Blick hinauf zum wolkenverhangenen Himmel und sah dann Robin an.

Gibt es in deinem verfluchten Land denn keine Sonne? Wo ist Osten?“

Sag mir, wie sie heißt“, sagte Robin.

Wo ist Osten?“

Robin verschränkte die Arme und grinste Aseem an, offensichtlich bereit, so lange zu warten, wie es nötig war. Plötzlich fiel ihm etwas ein. „War es etwa Sayeed?“ fragte er.

Nein!“ antwortete der Maure unerwartet heftig. „Verdammt sollst du sein“, schimpfte er weiter. „Sie hieß... Jasmina.“

Robin deutete über den Hügel. „Dort ist Osten.“ Aseem sah in die angegebene Richtung und meinte dann zweifelnd: „Bist du sicher?“ Robin sagte lächelnd: „Natürlich bin ich sicher. Ich bin nur fünf Meilen von Zuhause entfernt!“

Aseem warf seinen Gebetsteppich zu Boden und kniete nieder, das Gesicht gen Osten gerichtet.

Robin sprang von der Mauer und trat zu ihm. „War sie es wert?“ fragte er leise.

Aseem erwiderte seinen Blick fest und ohne Zögern. „Wert, für sie zu sterben.“

Damit wandte er sich endgültig ab und versank in sein Gebet.

Robin lächelte und entfernte sich ein wenig, um ihn nicht weiter zu stören. Er sah sich suchend nach Sayeed um. Endlich entdeckte er sie fast auf der anderen Seite des Hügels. Sie bückte sich gerade zu einem Büschel Blüten herunter. Robins Lächeln wurde breiter. Schon wieder die Pflanzen … seine Gedanken schweiften ab. Sayeed war entschieden keine Muslima, und Robin schüttelte den Kopf bei der Vorstellung, dass sie und Aseem ... wie war er nur auf diese Idee gekommen?

Plötzlich schreckte ihn etwas auf. Ein Jagdhorn drang durch die abendliche Stille, gefolgt von dem lauter werdenden hechelnden Gebell einer Hundemeute. Er trat an die Mauer, um das offene Moor zu überschauen, und blieb wie angewurzelt stehen, als er einen Jungen über das offene Land rennen sah, durch eine Lücke in der Mauer auf die andere Seite und dann zu dem Baum, aus dem Robin gerade noch die Mistel gepflückt hatte. Robin lief den Hang herunter. Nahe dem Baum sprang er wieder auf die von den Jägern abgewandte Seite. Niemand hatte ihn bisher bemerkt. Der Junge kletterte gerade wie ein leicht panisches Eichhörnchen den Baum hinauf.

Dann waren auch schon die Hunde da, rannten an Robin vorbei, versammelten sich um den Baum, auf den sich der Junge geflüchtet hatte, knurrten und sprangen mit hochgezogenen Lefzen daran hoch. Der Junge kletterte noch höher, um ganz aus ihrer Reichweite zu gelangen. Die Hunde rannten ungestüm und unruhig hin und her, nahmen Robin zwar zur Kenntnis, waren aber zu genau abgerichtet, um irgend etwas anderes zu stellen oder anzugreifen, als was ihnen ausdrücklich als Beute bezeichnet worden war; eine Tatsache, die Robin einigermaßen erleichterte.

Es gab noch mehr Lärm und Bewegung, als die den Hunden folgenden Jäger eintrafen. Pferde wurden abrupt gezügelt, als die Jäger den Jungen auf dem Baum entdeckten. Robin duckte sich hinter die Mauer, aber die Jäger blieben auf der anderen Seite.

Gisborne bedeutete seinen Leuten, abzusteigen und den Baum zu umstellen. Das taten sie eilends, während der Hundemeister die Tiere zu sich rief. Gisborne beugte sich in seinem Sattel vor und blickte nach oben ins Geäst.

Du hältst dich nicht an die Spielregeln, Junge!“ rief er mokant hinauf. „Rehe klettern nicht auf Bäume.“ Er grinste seinen Leuten zu, doch in seinem Lächeln lag keine Wärme. „Vielleicht hält er sich für ein Rebhuhn? Sollen wir ihm das Fliegen beibringen?“ Sein Lächeln verflog. „Schlagt den Baum um.“

Die Soldaten zogen ihre Schwerter und begannen ungeschickt auf den Baumstamm einzuhacken, so dass die Späne unter ihren schweren Hieben durch die Luft flogen. Der Junge klammerte sich verzweifelt und mit großen, angstgeweiteten Augen an das Geäst.

Robins Mund war schmal geworden. Er stieg durch eine Lücke in der Mauer, ging ruhig zu den Pferden, nahm unauffällig eine Armbrust aus einer der Satteltaschen und verbarg sie unter seinem Umhang. Niemand beachtete ihn. Aller Augen waren nur auf den Jungen oben in dem Baum gerichtet. Der Stamm knarrte und knackte, während sich die Klingen immer tiefer in ihn gruben. Die Hunde liefen unruhig herum, als hätten sie bereits Blutgeruch in den Nasen.

Halt!“ rief Robin. „Was ist das für ein furchterregendes Wesen, dass es sechs Männer braucht, es anzugreifen?“

Gisborne starrte ihn ungläubig an, allein schon wegen der Tatsache, dass ein gemeiner Mann es wagte, ihn offen anzusprechen. Eine zornige Antwort drängte sich ihm auf die Lippen, doch er beherrschte sich in der Erkenntnis, dass es sich bei dem Mann immerhin um einen Pilger handelte. Es war immer klug, Pilgern etwas mehr Toleranz entgegenzubringen. Der Mann konnte alles Mögliche sein, vom Heiligen bis zum Aussätzigen. Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln und nickte Robin steif zu.

Tretet zurück, guter Pilger. Dies ist keine Sache, die Euch etwas angeht.“

Habt Ihr da etwa den Teufel selbst auf dem Baum?“ sagte Robin. „Lasst mich doch einmal sehen... Aha! Ein kleiner Junge. In der Tat ein ganz gefährliches Tier.“

Gisborne beherrschte sich nur noch mit Mühe. „Dieser Knabe hat einen der Hirsche des Königs getötet.“

Weil ihr uns verhungern lasst!“ rief der Junge vom Baum herab. „Wir brauchten das Fleisch!“

Auf Wilderei steht die Todesstrafe!“ sagte Gisborne und ignorierte den Jungen. „Ich vertrete nur das Gesetz. Und ich rate Euch, guter Pilger, schleunigst beiseite zu treten. Dies hier ist das Land des Sheriffs von Nottingham, und sein Wort ist hier Gesetz!“

Falsch“, sagte Robin kühl. „Dies ist mein Land und mein Baum. Deshalb ist auch alles mein, was auf und an ihm ist. Ruft Eure Hunde zurück.“

Nennt mir gütigerweise Euren Namen“, gab Gisborne zurück, „bevor ich Euch aufspießen lasse.“ Er lächelte von oben kalt auf Robin herab.

Robin erwiderte Gisbornes Lächeln grimmig. „Robin von Locksley.“

Gisborne starrte ihn verwundert an. Doch dann kehrte sein kaltes Lächeln wieder. „Nun denn, willkommen, Locksley. Willkommen zu Hause.“ Er sah seine Soldaten an. „Tötet ihn!“ Er wendete sein Pferd und ritt ein Stück zurück.

Einer der Soldaten hob sein Schwert und trat grinsend vor. Robin hob die verborgene Armbrust und schoss dem Mann genau in den Schwertarm. Der Soldat taumelte zurück und ließ seine Waffe fallen. Er starrte ungläubig auf den Stahlpfeil, der in seinem Arm steckte. Die anderen Soldaten sahen erst ihn an und dann Gisborne, der vor Zorn errötete und sein Pferd brutal herumzog. „Hetzt die Hunde auf Ihn!“

Aseem!“ rief Robin nach hinten. „Hier ist eine gute Gelegenheit, dein Gelöbnis einzulösen!“

Der Maure indessen schien ihn überhaupt nicht zu beachten. Er war noch immer in sein Gebet versunken. Robin hatte das Gefühl, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee war, selbst ein paar Stoßgebete gen Himmel zu schicken. Dann sah er Sayeed den Hang hinunter laufen. Mit einem erleichterten Seufzer wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Angreifern zu. Der Soldat, der als Hundemeister fungierte, wandte sich der Meute zu. Robin warf die leergeschossene Armbrust fort und brachte eine zweite zum Vorschein, die er ebenfalls unter seinem Umhang verborgen gehalten hatte. Seine Erfahrung in den Kreuzzügen hatte ihn gelehrt, dass nichts darüber ging, gut vorbereitet zu sein. Der Hundemeister hatte gerade den Mund geöffnet, um die Meute auf ihn zu hetzen, als ihm Robin seinen Armbrustpfeil mitten zwischen die Augen schoss. Er sank zwischen den Hunden nieder, die sich, erregt durch den Geruch von Blut, sofort auf den Toten stürzten.

Einer der Soldaten lud inzwischen seine Armbrust. Robin warf ihm die seine ins Gesicht. Der Soldat taumelte zurück und griff nach seiner gebrochenen Nase. Zusammen mit anderen Soldaten floh er, so schnell ihn seine Beine trugen.

Gisborne gab seinem Pferd mit einem zornigen Aufschrei die Sporen, zog sein Schwert und ritt auf Robin zu. Der lief ihm entgegen, sprang dann auf die Mauer und benutzte sie als Sprungbrett, um Gisborne vom Pferd zu reißen. Das Pferd stürzte ebenfalls, wodurch Gisborne sich erst befreien musste. Robin nutzte die Gelegenheit, zog rasch sein Schwert und setzte ihm die Spitze an die Kehle. Er blickte den anrückenden Soldaten bedeutungsvoll entgegen. Sie hielten inne und ließen ihre Schwerter sinken. Robin lächelte, wartete noch einen Moment, bis er wieder bei Atem war, und blickte dann auf Gisborne hinab.

Nun denn“, sagte er leichthin, „würdet Ihr so freundlich sein, mir Euren Namen zu nennen, bevor ich Euch aufspieße...“

Gisborne lag still und gab sich große Mühe, nicht zu schlucken. Er atmete nur lang und flach ein und antwortete sehr sorgsam und deutlich. „Ich bin Sir Guy von Gisborne, der Vetter des Sheriffs. Und dieser kleine Bastard dort oben hat einen Hirschen des Königs gewildert.“

Gewildert?“ fragte Robin ironisch. „Ist es nicht ein größeres Verbrechen, Menschen verhungern zu lassen?“

Ich habe nur dem Gesetz Genüge getan...“, verteidigte sich Gisborne Er sah in Robins grimmiges, unnachgiebiges Gesicht, und sein Selbstbewusstsein begann zu schwinden.

Robin erinnerte sich an den verzweifelten Blick des Jungen vom Baum herunter auf die Hundemeute, die nach seinem Blut lechzte, und an die kalte Arroganz Gisbornes mit der nackten Grausamkeit in seinen Augen. Und in diesem Moment verspürte er den Wunsch, Gisborne zu töten, so eindringlich, dass er ihn fast riechen und schmecken konnte. Sein Gesicht versteinerte sich, da schwirrte plötzlich etwas an seinem Kopf vorbei. Er fuhr blitzschnell herum. Der Soldat, der sich herangeschlichen hatte, war mitten in seiner Bewegung erstarrt. Zu seinen Füßen steckte ein schlankes Schwert im Boden. Robin sah hinüber zu Sayeed, die auf halber Höhe des Hanges stand, wieder bis zu den Augen verhüllt.

Guter Wurf“, rief er ihr anerkennend zu. Sie nickte. Robin warf einen vorwurfsvollen Blick auf Aseem, der inzwischen ohne Eile zu ihnen kam.

Die übrigen Soldaten starrten die beiden fremdartigen Gestalten an, als habe sich der Teufel persönlich vor ihnen erhoben. Sayeed funkelte sie unter zusammengezogenen Brauen hervor an. Sie warfen in Panik ihre Schwerter weg und rannten davon. Robin blickte wieder auf Gisborne, der noch immer zitternd vor ihm lag, und seufzte heftig. Der Moment war vorüber, und er war nicht der Mann, der einen anderen kaltblütig tötete, so sehr er es auch verdient haben mochte. Er hob das Schwert.

Ich habe genug Blut für zwei Leben gesehen; Blut, dass wegen Eitelkeiten und Dummheit vergossen wurde. Ich schenke Euch Euer Leben, Gisborne. Nehmt Eure Leute und verlasst mein Land. Und vergesst nicht, Eurem Vetter, dem Sheriff, zu sagen, was seinem Gesindel geschieht, wenn sie Jagd auf kleine Kinder machen.“

Er zog Gisborne vom Boden hoch und dieser schlich geschlagen davon. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um und schoss Robin einen hasserfüllten Blick zu. Locksley würde noch dafür büßen, dass er ihn vor seinen eigenen Leuten so bloßgestellt hatte, schwor er sich lautlos. Aber dann ging er ohne ein Wort, gefolgt von den überlebenden Soldaten und den Hunden.

Inzwischen war auch Aseem herangekommen und stand neben Sayeed. Robin stellte den Mauren stirnrunzelnd zur Rede. „Da bist du nun zehntausend Meilen mit mir gereist nur für eine Gelegenheit, mir das Leben zu retten, und dann hast du nicht einmal den kleinen Finger gerührt, als ich fast abgeschlachtet worden wäre!“ Aseem sah Robin ruhig an, während Sayeed zu ihrem Schwert ging und es aus der Erde zog, wo es noch immer steckte, seit es dem Soldaten genau vor die Füße gefahren war.

Ich erfülle meine Gelöbnisse nach eigener Wahl“, sagte Aseem.

Ja, aber nicht zur Gebetsstunde, zur Essenszeit und vor allem nicht, wenn ich allein gegen Sechs kämpfen muss“, beklagte sich Robin.

Aseem musterte ihn ernst. „Du jammerst wie ein Maultier. Sayeed war doch an deiner Seite. Und du lebst doch noch, nicht wahr?“ Robin sah ihn sprachlos an, da hörte er ein Kichern hinter sich. Mit tadelndem Gesichtsausdruck drehte er sich zu Sayeed herum.

Was gibt’s denn da zu lachen“, beschwerte er sich, aber dabei lächelte er schon. Sayeed zwinkerte ihm zu und steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. Robin konnte ihr Grinsen förmlich durch den Schleier hindurch sehen. Er konnte nicht anders, er lachte laut heraus.

Alle drei fuhren herum, als es in den Zweigen knackte. Der Junge kam vorsichtig den Baum herunter. Als er bemerkte, dass er beobachtet wurde, erstarrte er mitten in der Bewegung. Robin lächelte ihm ermunternd zu und hielt das Schwert zu Boden, um ihn von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen.

Habe keine Angst, Knabe. Komm herunter. Von uns geschieht dir nichts.“

Der Junge kam langsam heruntergeklettert, versuchte dabei aber, alle drei gleichzeitig im Auge zu behalten. Schließlich sprang er zu Boden, beobachtete sie aber weiterhin wachsam, halb geduckt, bereit, jeden Augenblick zu fliehen.

Stimmt das, was Gisborne sagte?“ fragte Robin. „Hast du wirklich einen Hirsch des Königs getötet?“

Wulf grinste. „Hunderte.“ Damit rannte er los und war im Handumdrehen verschwunden, so schnell, als habe ihn das Moor verschluckt.

Robin blinzelte und schaute zu Sayeed, die ihn mit gerunzelten Brauen kopfschüttelnd ansah. Aseem sprach aus, was Robin schon in Sayeeds Augen gelesen hatte: „Interessantes Land, dieses England.“

Robin steckte das Schwert in seinen Gürtel und klopfte ihm auf die Schulter. „Na komm, mein maurischer Freund. Gleich dort hinter dem Hügel warten ein Feuer, warmes Essen und ein weiches Bett auf uns, so weich, dass man darin ertrinken könnte. Mein Zuhause, Aseem. Zuhause...“ Er sah lächelnd von einem zum anderen.

Doch ganz so leicht und rückhaltlos kam es nicht über seine Lippen. Das war nicht mehr das gleiche England, das er einst verlassen hatte.

Weiter: Teil 7 - Nottingham