Andere Fandoms
|
Teil 9 – Auf dem Weg Bald danach verdunkelte sich der Himmel bedrohlich und es begann zu regnen. Der Boden wurde schlammig und saugte sich an ihren Füßen fest. Dunkle Wolken verdeckten die Sonne. Der strömende Regen durchnässte sie bis auf die Haut. Sie sahen kaum noch einige Schritte weit und der Wald, den sie durchqueren mussten, verwandelte sich in eine düstere Schattenwelt. Nur Sayeed schien von diesem Unbill unberührt zu sein, die Nässe und die Kälte schienen ihr nichts anhaben zu können. Sie huschte wie ein Irrwisch durch das Zwielicht, mal nahe vor ihnen, mal nur eine undeutliche Bewegung irgendwo zwischen den Stämmen der Bäume. Robin schüttelte verständnislos, aber amüsiert lächelnd den Kopf und zog fröstelnd den nassen Umhang enger um seinen Körper. Als sie den Wald wieder verließen, wurde das Wetter noch unangenehmer, wenn das noch möglich war. Der schneidende Wind ging ihm durch Mark und Bein. Sie waren weit von jedem Dorf oder Gehöft entfernt, nur gelegentlich kamen sie an den ausgebrannten Ruinen einer Hütte oder einer Scheune vorbei. Robin hatte bereits von den erbarmungslosen Methoden der Leute des Sheriffs gegen säumige oder unfähige Steuerzahler gehört, doch er hatte sie für Gerüchte und Übertreibungen gehalten. Sie hielten an einer Straßenkreuzung, um sich über ihre Richtung klar zu werden. Nach einem Moment deutete Robin in eine Richtung. Sie gingen eine Weile schweigend weiter, mit gesenkten Köpfen, um sich gegen den peitschenden Regen zu schützen, bis Aseem begann, halblaut in seiner eigenen Sprache vor sich hin zu schimpfen. Robin sah ihn fragend an, worauf Aseem laut schniefte. „Wann beginnt in diesem Land eigentlich der Sommer?“ Robin lächelte matt. „Das hier ist der Sommer.“ Aseem sah ihn stirnrunzelnd an und schüttelte langsam den Kopf. Sie zogen stumm weiter, bis Aseem plötzlich halblaut anfing zu sprechen. „Ich will dir eine Geschichte erzählen“, hub er in dem seltsamen Singsang an, dem er immer benutzte, wenn er ein Märchen oder eine Sage aus seiner Heimat vortrug. Robin sah ihn irritiert an. Er fand den Zeitpunkt für ein Märchen nicht gerade passend, sagte aber nichts. Aseem fuhr fort: „In meiner Heimat lebte ein Volk von mächtigen Kriegern und großen Magiern. Selbst ihre Kinder waren schneller mit den Waffen vertraut als sie laufen lernten. Und wo sie sich niederließen, versiegten die Quellen nie, die Felder und Palmenhaine trugen reiche Ernte, die Herden wuchsen und gediehen. Niemand, der in ihrer Nähe lebte, musste Not leiden. Die Menschen konnten mit ihren Sorgen und Gebrechen zu ihnen kommen und jeder wurde angehört. Oft genügte eine Berührung von ihnen, und die Menschen waren geheilt und getröstet. Viele kamen auch zu denen, die litten, bevor diese zu ihnen kommen konnten. Wo sie gingen, war es, als fiele der sanfte Schein des Mondes in dunkle Nacht. Dieses Volk verehrte alles, was lebt, und wurde dafür verehrt.“ Er blickte Robin ernst an. Diesem ging langsam ein Licht auf. „Sayeed stammt aus diesem Volk, nicht wahr?“ Aseem nickte. „Sie spürt es, wenn Menschen leiden, und ihre Berührung kann Trost spenden und heilen.“ Robin erinnerte sich an die Szene am Grab seines Vaters, ihre Hände an seinen Wangen, ihre Umarmung. Sie hatte seinen Schmerz gelindert, ihm für einen kurzen Moment Frieden geschenkt. Es war gewesen, als wäre er wieder ein kleiner Junge. Zuhause vor dem flackernden Kamin, an die Knie seiner Mutter gelehnt, ihre streichelnden Hände auf seinem Haar... Er wollte Aseem fragen, warum er ihm das gerade jetzt erzählte, wo er sich doch bisher geweigert hatte, darüber zu sprechen. Doch als er ihn ansah, erkannte er in seinen Augen, dass er wusste, was Sayeed bewirkt hatte. „Aber warum war sie dann im Kerker in Jerusalem, warum die Folter?“ fragte er stattdessen. Aseem blickte zu Boden. Schweigend gingen sie weiter. Robin drängte ihn nicht. Dann hob Aseem den Kopf, und Robin erkannte beunruhigt den lodernden Hass in seinen Augen. „Satte und gesunde Menschen brauchen keine Herrscher, und sie führen keine Kriege. Sayeeds Volk ließ niemanden hungern, niemanden leiden. Also wurden sie geächtet, im Schlaf ermordet, in die Wüsten vertrieben. Ihre Kampfkunst nutzte ihnen wenig gegen Verräter und Meuchelmörder. Wo sie sich auch verbargen, sie blieben nie lange unentdeckt. Wer ihnen half, riskierte sein Leben und das seiner ganzen Familie. In der Oase, in der ich aufwuchs, wurde ihr Volk ausgerottet, als ich noch ein Knabe war. Eines Nachts brannte das halbe Dorf. Alle versuchten zu löschen, nur ein Anwesen war von Soldaten umstellt. Sie hatten die Türen von außen verriegelt und hinderten jeden daran, den Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen. Die Schreie der Verbrennenden höre ich noch heute manchmal in meinen Träumen.“ Robin war stehen geblieben, entsetzt starrte er Aseem an. „Aber meistens gingen die Mörder geschickter zu Werk“, fuhr dieser fort. „Die Leute verschwanden einfach und tauchten nie wieder auf. Sayeed ist seit langer Zeit die erste ihres Volkes, die ich sah. Es ist gut möglich, dass sie auch die letzte ist. Ich dachte...“ Er stockte plötzlich. Robin sah ihn stirnrunzelnd an und wollte ihn gerade fragen, warum er nicht weitersprach. Doch Aseems Blick ließ ihn innehalten. Robin drehte sich um und sah Sayeed auf sie zukommen. Seit sie wusste, dass Duncan blind war, hatte sie den Schleier wieder zurückgeschlagen. Ihr Gesicht war leicht gerötet, ihre Augen glänzten vor Aufregung. Sie blieb vor ihnen stehen und lächelte. Ihre Zeichen gaben zu verstehen, dass es nicht mehr weit war zu Peters Zuhause. Robin fragte sich, woher sie wusste, dass sie fast am Ziel waren, aber im Moment war er geneigt, alles zu glauben. Als sie wieder davongehen wollte, hielt Robin sie zurück. „’Danke“, sagte er nur lächelnd. Sayeed erwiderte sein Lächeln und strich mit den Fingern kurz über seine Wange. Dann ging sie davon. Robin aber war, als glimme ein Stückchen Glut in ihm, das ihn von innen heraus wärmte. Und er hoffte, es werde nie mehr verlöschen.
|
|