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Teil 10 - Marian Der Regen hatte aufgehört, aber es wurde einfach nicht heller, als sie zu einer hohen Umfassungsmauer kamen. Hinter dieser standen mehrere Gebäude um ein großes, gedrungenes Haus mit Strohdach. Robin nickte sich selbst zu und entspannte sich ein wenig. Es war lange her, seit er zuletzt hier in Dubois Mansion gewesen war, und er war sich nicht sicher gewesen, ob er den Weg noch kannte. Hier hatte er als Kind oft gespielt, doch das war lange her, fünfzehn, zwanzig Jahre. „Das ist also das Elternhaus deines Freundes?“ fragte Aseem. Robin nickte. „Ich habe ihm ein Versprechen gegeben, erinnerst du dich? Sechs Jahre und noch länger ist es her, seit er von hier aus fortzog, um mit mir zu einem ruhmreichen Abenteuer in den Orient aufzubrechen. Und nun bin ich ohne ihn zurückgekehrt. Wir werden hier sicher Unterkunft finden.“ „Und trockene Kleider?“ fragte Aseem. „Warum nicht“, antwortete Robin. „Die Familien Dubois und Locksley sind seit Generationen befreundet.“ Er fand das Tor in der Mauer, wo Sayeed schon auf sie wartete. Sie hatte den Schleier wieder vor das Gesicht gezogen und verschmolz fast völlig mit den Schatten, bis sie vortrat. Robin zuckte immer noch zusammen, wenn sie so lautlos neben ihm auftauchte. Daran würde er sich wohl nie gewöhnen. Er klopfte höflich an und wartete eine Weile. Es blieb alles ruhig. Schließlich schlug er mit der Faust dagegen. Es dauerte lange, doch dann wurde die Türluke geöffnet. In der Öffnung erschien der Kopf einer alten Frau. Robin lächelte ihr auf seine höflichste Weise zu. „Keine Bettler mehr!“ fuhr ihn die alte Frau aber sogleich an und schlug ihm die Türluke vor der Nase zu. Zunächst verschlug es ihm die Sprache. Dann hämmerte er erneut heftig an die Tür. Die Luke öffnete sich tatsächlich noch einmal, und die Frau funkelte ihn böse an. „Wir sind keine Bettler“, sagte Robin rasch. „Sagt der Herrin des Hauses, dass Robin von Locksley an der Tür ist.“ „Geht nicht“, sagte die alte Frau. „Die Herrin ist nicht da.“ Robin lächelte verbissen und ignorierte bewusst die Blicke seiner Gefährten. „Gut. Ist dann das Kind Marian zu Hause?“ „Vielleicht“, sagte die alte Frau, „oder vielleicht auch nicht.“ Sie wollte die Türluke erneut schließen, doch Robin hatte bereits seine Finger dazwischen. Sie warf sie trotzdem zu, und Robin schrie vor Schmerz auf und zog sie reflexartig zurück. Die Luke wurde prompt verschlossen. Robin steckte die schmerzende Hand unter seine Achselhöhle und tanzte ein wenig herum, bis sich Schmerz und Zorn gelegt hatten. Aseem und Sayeed sahen ihm die ganze Zeit aufmerksam zu. „Die Gastfreundschaft in deinem Land hier“, sagte Aseem schließlich, „scheint so warm zu sein wie euer Wetter.“ Robin warf ihm einen stummen, strafenden Blick zu und betrachtete dann wieder die verschlossene Tür. Er war durchnässt und müde und fror und hatte gute Lust, das ganze Haus niederzubrennen. Dann wandte er sich zögernd ab. Es hatte keinen Sinn. Er nahm Duncan beim Arm und bedeutete seinen Gefährten, dass sie ihren Weg unverrichteter Dinge fortsetzen müssten. Aseem meinte noch: „Das war ein Scherz!“ Aber Robin schritt schon aus. Im Gehen drehte er sich um und fragte ironisch: „Wirklich?!“ Doch dann blieb er stehen. Man hörte, wie Riegelstangen zurückgeschoben wurden. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Darin erschien die alte Frau. „Lasst Eure Waffen draußen.“ Sie kamen zurück. Aseem ging direkt auf die Tür zu, doch die Alte schob ihren Arm durch den Spalt, ihr knochiger Finger zeigte auf Robin. „Nur Ihr. Die anderen nicht.“ Robin wollte ärgerlich protestieren, besann sich dann aber eines Besseren. Ganz besonders Duncan, aber auch sie anderen brauchten Wärme und Obdach, doch mit der Alten hier war nicht gut Kirschen essen. Wenn er wenigstens in das Haus gelangte, konnte er mit der Person, die hier maßgeblich war, sprechen. Er zog sein Schwert aus dem Gürtel und reichte es Aseem zusammen mit dem kleinen Dolch, den er bei sich trug, drückte Duncan aufmunternd die Hand und trat durch den schmalen Türspalt in einen halbdunklen Korridor. Die Alte schlug hinter ihm die Tür sogleich wieder zu und verriegelte sie, nicht ohne vorher noch einen misstrauischen Blick auf die beiden Mauren geworfen zu haben. Aseem draußen sah Sayeed an und schüttelte leicht den Kopf. Sayeed zuckte mit den Schultern und lehnte sich an die Mauer. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf einen möglichst positiven Ausgang von Robins Besuch zu hoffen. Duncan zitterte vor Kälte und stampfte, um sich etwas zu wärmen, mit den Füßen auf dem schlammigen Boden. „Die Pest über alle Mauren und Sarazenen!“ schrie er plötzlich heraus. „Würden sie sich nicht so gottlos aufführen, wäre Master Robin niemals fortgezogen und hätte uns allein gelassen, und nichts von alledem wäre geschehen! In meinem ganzen Leben hat man mich nicht so behandelt!“ Dann erinnerte er sich, dass noch jemand bei ihm war. Er wandte den Kopf in Aseems ungefähre Richtung und suchte nach Worten. Höfliche Konversation war nie seine Stärke gewesen. „Aseem... Sagt mir, Herr, was für eine Art Name ist das eigentlich? Irisch vielleicht? Oder Walisisch?“ Aseem kam von der anderen Seite der Tür, wo er gelehnt hatte, ganz nah an den alten Mann heran. „Maurisch“, sagte er eindrücklich. Der Ausdruck des schieren Entsetzens, der sich daraufhin über Duncans Gesicht ausbreitete, entschädigte Aseem für den ganzen schlimmen Tag. Inzwischen hatte die alte Frau Robin in die große Wohnhalle geführt. Sie zeigte auf einen Punkt und gebot ihm, dort zu warten. Robin sah sie fragend an. „Genau hier?“ konnte er sich nicht verkneifen. Und tatsächlich, ein kleines Lächeln lockerte die verkniffene Miene der Frau kurz auf. Dann entfernte sie sich über die Treppe am anderen Ende der Halle hinauf in die oberen Gemächer. Robin sah sich um. Die große Halle wurde von dem langen Esstisch in der Mitte und der üblichen Jagdtrophäensammlung mit Köpfen von Hirschen und Ebern an den Wänden beherrscht. Diese Köpfe hatte er schon in seiner Kindheit nicht gemocht. Er war immer überzeugt davon gewesen, dass ihre Augen ihm überallhin folgten, wenn er nicht hinsah. Er hörte oben auf der Galerie die Bohlen knarren und blickte rasch hinauf, wer da sei. Er fühlte sich seltsam schuldig, wie ertappt. Eine kaum erkennbare Gestalt im Halbdunkel blickte auf ihn herab. „Wer seid Ihr?“ fragte eine Frauenstimme. Robin schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Robin von Locksley.“ „Ihr lügt“, sagte die Frau kalt. „Robin ist tot. Tretet ins Licht, damit ich Euer Gesicht sehen kann. - Und jetzt dreht Euch um.“ Robin tat, wie ihm geheißen wurde, und lächelte nach wie vor entschlossen. „Soll ich vielleicht auch noch tanzen? Wer seid Ihr?“ „Ich bin die Jungfer Marian“, sagte die Gestalt herablassend. „Dann zeig dich, Kind“, sagte Robin. „Wir kannten einander gut, als wir noch jünger waren.“ Die Frau trat ins Licht und sah ihn herablassend an. Robin musste sich beherrschen. Es mochte sein, dass er auf seinen Reisen schon einmal eine fettere und hässlichere Frau gesehen hatte. Aber erinnern konnte er sich nicht, verdammt. „Marian!“ sagte er gleichwohl und zwang sich eisern weiterzulächeln, obwohl es ihm mehr als schwer fiel. „Die Jahre haben es gut mit dir gemeint. Du bist eine Schönheit geworden.“ „Danke“, sagte sie kühl. „Da der König fort ist, müssen wir immer auf der Hut vor Banditen sein, die sogar eine Verwandte von ihm entführen würden.“ Robin verlor allmählich die Geduld. „Aber Ihr werdet doch wohl sehen, dass ich keinesfalls zu denen gehöre“, meinte er, sich mühsam zügelnd. „Wer weiß...“, meinte die Frau verächtlich. Sie musterte ihn einen Moment schweigend, Robin versuchte wieder ein Lächeln. Sie musste doch wissen, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte. Aber ihre nächsten Worte zerschlugen seine Hoffnungen. „Also, Ihr habt jetzt mit mir gesprochen, wie es Euer Wunsch war. Nun entfernt Euch aus diesem Haus.“ „Das würde ich, my Lady“, erklärte Robin in ergebenem Tonfall, „aber ich habe geschworen, Euch zu beschützen.“ Sie zog die Brauen hoch, dann lachte sie wegwerfend. „Mich beschützen? Robin von Locksley? Der nichts anderes als ein verzogener Lümmel war?“ Robin setzte zu einer Erwiderung an, als sich ihm eine Schwertspitze heftig in den Rücken drückte. Er hob langsam die Hände zum Zeichen, dass er unbewaffnet sei. „Wie Ihr seht“, kam es von oben, „sind wir recht gut in der Lage, uns um uns selbst zu kümmern.“ Sie wandte sich um und ging. „Marian, warte, lass mich doch erklären -„ Doch die Schwertspitze bohrte sich noch etwas nachdrücklicher in seinen Rücken. Nun reichte es ihm. Sein Tag war beschwerlich genug gewesen. Zynisch sagte er: „Ihr zeigt wirklich Mut gegenüber einem unbewaffnetem Mann.“ Im nächsten Moment fuhr er herum, um seinen Gegner vor sich zu haben. Ganz automatisch griff er an seine Seite, wo sein Schwert zu hängen pflegte. Doch er griff ins Leere. Er stand einer ganz in Schwarz gekleideten Gestalt gegenüber, deren Gesicht hinter einer Kampfmaske verborgen war. Der Maskierte deutete nur wortlos mit dem Schwert zur Tür. In der gleichen Sekunde griff Robin nach der Schwerthand seines Gegenübers und schleuderte ihn quer über den Tisch. Der andere rollte sich zwar elegant ab, verlor dabei jedoch das Schwert. Robin sprang auf den Tisch, um den gerade Waffenlosen zu überwältigen. Doch der Maskierte kam auf der anderen Seite katzengleich wieder auf die Füße und hatte auch schon einen aus einer verborgenen Scheide gezogenen langen Dolch in der Hand, mit dem er nach Robins Beinen hieb. Robin sprang hoch, dann von Tisch. Der Andere hieb wieder heftig mit dem Dolch nach ihm. Robin wich hastig zurück und stolperte gegen die Wand. Neben ihm befand sich der Kamin, darüber eine der Jagdtrophäen. Der Maskierte kam mit vorgestrecktem Dolch näher. Robin sah sich panisch nach einer Waffe um und riss in Ermangelung von etwas anderem den Hirschkopf von der Wand. Der andere blieb einen Moment verblüfft stehen, als er das Geweih in Robins Händen sah. Aber dann drang er wieder auf ihn ein. Sein harter Stahl fuhr durch das Gehörn, als sei es aus Stroh. Draußen vor dem Haus wurden Aseem und Sayeed aufmerksam, als sie die Kampfgeräusche vernahmen. Aseem warf sich gegen die Tür. Sie erzitterte zwar unter seinem Gewicht, hielt aber mühelos stand. Aseem versuchte es noch einmal, stöhnend ob der Anstrengung. Duncan sah sich mit seinen blinden Augenhöhlen um und fuchtelte mit seinem Stock. „Zeigt mir, wo die Gefahr lauert, Aseem! Ich bin bereit!“ Aseem aber schüttelte nur den Kopf und warf sich wieder und wieder gegen die Tür, bis Sayeed ihm die Hand auf den Arm legte. Sie schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, das sah allmählich auch Aseem ein. Er überließ Sayeed das Feld. Drinnen in der Wohnhalle flogen Stücke des Hirschgeweihs durch die Luft, während der Maskierte weiter auf Robin eindrang. Er ließ ihm keinen Millimeter Boden und zwang ihn zu Rückzug und Flucht, obwohl sich Robin mit der Trophäe so gut verteidigte, wie es ging. Aber die Geweihenden wurden unter den wilden Hieben seines Gegners immer kürzer, bis schließlich nichts mehr von ihnen übrig war. Robin sah auf den kläglichen Rest der Trophäe, schleuderte ihm fort und warf sich dann mit dem Mut der Verzweiflung auf ihn. Er bekam die Dolchhand zu fassen, packte den Maskierten mit der anderen Hand an der Kehle und drückte ihn gegen die Mauer. Sie rangen miteinander. Robin bemerkte die brennenden Kerzen in dem fast mannshohen Ständer neben ihnen. In einem plötzlichen Einfall drückte er die Waffenhand seines Gegners nach unten, bis sie genau über der Kerzenflamme war. Der Maskierte keuchte vor Schmerz auf, versuchte die Waffe zu halten und musste sie dann doch fallen lassen, als der Schmerz zu groß wurde. Robins Gesicht zeigte Verblüffung; es war etwas an dieser Stimme, auch wenn sie durch die Maske verzerrt wurde. Mit raschem Griff fasste er nach der Maske und riss sie seinem Gegner vom Gesicht. Er starrte ungläubig auf die schöne Frau, die ihn anblickte, die ihn entsetzt anblickte, und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Im selben Moment stürmten Aseem und Sayeed mit gezogenen Schwertern in die Halle. Robin sah sich verwundert nach ihnen um. Die Frau nutzte die Gunst des Augenblicks, um ihm in die Lenden zu treten. Robin krümmte sich zusammen und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden. Mit zusammengebissenen Zähnen sah er die Frau an und versuchte zu lächeln. “Hallo, Marian.” Die sah verblüfft auf ihn herunter und allmählich zeichnete sich Verstehen in ihren Augen ab. |
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