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Teil
16 - Zauberwesen
Grollend
stapfte Will Scarlet immer tiefer in den nur vom Mondlicht
erhellten Forst. Schließlich erreichte er eine Lichtung, die
einen kleinen stillen Teich umgab. Dies war einer der verborgenen
Plätze, die niemand außer ihm kannte. Wohin er sich zurückzog,
wenn er die Gesellschaft der anderen nicht mehr ertrug.
Doch
diesmal blieb er am Rande der Lichtung abrupt stehen. Er traute
seinen Augen nicht. In dem stillen Wasser schwamm jemand.
Vorsichtig schlich er näher heran.
Mondlicht
schien auf silbrig helles Haar und nackte Haut. Ein weibliches
Wesen schwamm dort gewandt wie ein Otter in dem Teich, schnellte
hoch aus dem Wasser, tauchte unter und durchbrach plötzlich an
anderer Stelle wieder die Wasseroberfläche. Will beobachtete sie
verzaubert. Er hatte das Gefühl, in eine dieser Geschichten
geraten zu sein, die am Feuer erzählt wurden, wenn die Nächte
lang und kalt waren. Hier hatte er eines jener Wesen vor sich, die
ihre Tiergestalt wie ein Fell ablegten, um als wunderschöne
Frauen in verwunschenen Gewässern zu baden.
Schließlich
schien sie genug zu haben. Langsam schwamm sie auf das Ufer zu, an
dem Will sich versteckt hatte, und stieg aus dem Wasser. In Will
kam Leben zurück. Aus den Legenden wusste er, dass diese Wesen
bei demjenigen bleiben mussten, der ihre Tierhaut besaß.
Blitzschnell suchte er mit Blicken das Ufer ab. Und tatsächlich,
dort lag ein dunkler Haufen, nicht weit von seinem Versteck
entfernt. Er sprang auf, stürzte aus den Schatten und raffte das
Bündel an sich. Es fühlte sich eher wie ganz normaler Stoff an,
aber er war schon so in seiner Vorstellung gefangen, dass er nicht
weiter darauf achtete. Die Frau war bei seinem Auftauchen stehen
geblieben. Will grinste sie an und sagte: „Ich habe deine Haut.“
Zwei große Augen blickten ihn verständnislos an. Wasser perlte
immer noch über ihren schlanken Körper und tropfte aus ihrem
Haar, das im Mondlicht schimmerte. Eine Elfe, dachte Will
fasziniert. Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Sayeed
wusste nicht, wie ihr geschah, als der Waldläufer wie ein
Verrückter aus dem Wald gestürzt kam und sich ihrer Kleider
bemächtigte. Seine Worte und sein Grinsen trugen auch nicht
gerade zur Klärung seines Verhaltens bei. Aber er schien nicht
gewillt, ihr die Kleidung so ohne weiteres wieder auszuhändigen.
Außerdem hatte er sie nicht wenig erschreckt. Verwirrt suchte sie
in seinem Gesicht nach Hinweisen, die ihr helfen konnten, das
Ganze zu verstehen.
Dann
sah sie den verzauberten Glanz in seinen Augen. Und sie erinnerte
sich an die Szene am Fluss, als der Hass, der aus ihm herausbrach,
bis zu ihr ans andere Ufer gedrungen war. Sayeed musterte ihn nun
intensiv. Der Hass war immer noch da, tief in seinem Inneren.
Seine jetzige Stimmung überdeckte ihn, doch für sie war er immer
noch zu spüren. Mitleid stieg in ihr auf, der Wunsch, ihm zu
helfen, seinen Schmerz zu lindern, zu heilen.
Sayeeds
Blick schweifte weiter über den Mann vor ihr. Er war schlank,
aber muskulös, nicht so groß wie Aseem oder Robin, nur ein wenig
größer als sie selbst. Und er war noch so jung, fast noch ein
Knabe.
Das
Gesicht unter den dunklen Haaren erinnerte sie mit der breiten
Stirn und den hervorstehenden Wangenknochen an eine orientalische
Katze, besonders jetzt, da er lächelte. Er schien nicht oft zu
lächeln. Dann sah sie in seine Augen und konnte den Blick nicht
mehr lösen. Das Mondlicht schien direkt in sie hinein, ließ sie
regelrecht leuchten. Sie waren von einem lichten Grün, durchzogen
von Goldbraun, wie der junge Wald im ersten Sonnenschein des
Frühlings. Er ist schön, dachte sie erstaunt, und: Ich mag ihn.
Doch
dann bemerkte sie, dass sein Gesichtsausdruck sich veränderte. Er
wirkte verwirrt, wohl weil sich die Geschichte nicht so
entwickelte, wie er es erwartete.
Sayeed
beschloss, auf sein Spiel einzugehen. Sie trat ganz nah an ihn
heran und legte ihre Hände um sein Gesicht. Nun lächelte er
wieder und neigte sich ihr entgegen. Doch der Hass und der
Schmerz, die in ihm wüteten, stürmten durch den Kontakt
ungefiltert auf sie ein. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und für einen Moment versagten
ihr die Beine. Reflexartig griff Will nach ihr und hielt sie fest.
Dass er dafür das Bündel Kleidung fallen lassen musste, bemerkte
er schon nicht mehr. Sie ließ sich zu Boden sinken. Und Will
folgte dieser Bewegung, ohne sie loszulassen.
Das
Gefühl, das Will durchströmte, als sie sich zum ersten Mal
küssten, linderte den Schmerz auch in ihr. Sayeed war
ausgehungert nach Zärtlichkeit und Will ging es ebenso. Sie gaben
sich gegenseitig, was sie so lange entbehrt hatten.
Erstaunt
registrierte Sayeed, wie unerfahren Will im Spiel der Liebe war.
Er wusste zuerst gar nicht, was er machen sollte. So übernahm sie
mit Vergnügen die Aufgabe, ihm zu zeigen, dass es da mehr gab als
Rein-Raus – wesentlich mehr. Und Will war ein sehr gelehriger
Schüler.
Als
er bei seinen Erkundungen ihres Körpers die Narben unter seinen
tastenden Fingern spürte, löste er sich unsicher von ihr. Er
erhob sich halb, und das Mondlicht enthüllte die Spuren der
Folterungen auf Sayeeds Haut. Will schrak entsetzt zurück.
„Was...“, entfuhr es ihm, aber weiter kam er nicht. Ungeduldig
zog Sayeed ihn wieder hinunter und verschloss seine Lippen mit den
ihren. Sie wollte jetzt keine Fragen hören, die sie sowieso nicht
beantworten konnte. Sie würde keine Unterbrechung zulassen, nicht
jetzt, wo sie endlich bekam, was sie so lange vermisst hatte. Und
sie kannte sehr wirksame Methoden, das auch sicherzustellen.
Als
ihre Hände über Zonen seinen Körpers wanderten, von denen er
nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierten, war der kurze
Schrecken schon aus seinen Gedanken verschwunden. Doch die Male
verbanden sie. Sayeed trug die Narben sichtbar auf der Haut, seine
waren tief in seiner Seele verborgen.
Sie
liebten sich fast die ganze Nacht. Dann, als Will schließlich in
den Schlaf hinüberdämmerte, löste Sayeed sich vorsichtig aus
seinen Armen. Robin und Aseem würden sich sicher schon fragen, wo
sie geblieben war. Leise begann sie sich anzukleiden. Doch sie war
nicht vorsichtig genug.
Will
regte sich zuerst unruhig und erwachte schließlich. Schläfrig
tastete er umher; als er das Mädchen nicht mehr neben sich fand,
setzte er sich, plötzlich hellwach, ruckartig auf. Sie war dabei,
sich anzukleiden. Will öffnete schon den Mund, um sie
anzusprechen, als er bemerkte, woraus ihre Kleidung bestand.
Es
war eine fremdartige Tracht aus weiten weißen Hosen und Hemd,
über die jetzt ein langes schwarzes Obergewand fiel – die Art
Kleidung, wie sie der Maure, der mit Locksley gekommen war, trug.
Schlagartig erinnerte Will sich daran, dass die Gruppe um diesen
Locksley am Fluss noch aus vier Personen bestanden hatte, im Lager
aber nur drei angekommen waren. Ein erschreckter Laut entfuhr ihm,
wütend schlug er die Hand vor den Mund.
Doch
sie war schon aufmerksam geworden. Ernst blickten ihre großen,
seltsamen Augen ihn an. Als sie auf ihn zukam, erhob Will sich
hastig. Seine fahrig zusammengeraffte Kleidung hielt er wie einen
Schutzschild vor seinen Körper. Für jeden Schritt, den sie auf
ihn zu tat, wich er einen zurück. Schließlich blieb sie stehen
und hob eine Hand, als wolle sie nach ihm greifen. Aber Will
wollte nur noch fort. Abrupt warf er sich herum und verschwand im
Wald.
Keuchend
sah Sayeed ihm nach. Mit aller Kraft versuchte sie zu sprechen,
ihm etwas nachzurufen. Wie unter Krämpfen krümmte sie sich, sank
zu Boden und krallte die Hände in den weichen Boden. Tränen
flossen über ihr Gesicht, harte Schluchzer zerrissen ihr beinahe
die Kehle. Schließlich lag sie nur noch erschöpft da und
versuchte sich wieder in die Gewalt zu bekommen.
Will
rannte so gut wie blind durch den Wald, bis er über eine Wurzel
stolperte. Fast besinnungslos blieb er liegen, prügelte auf den
Boden ein, bis seine Fäuste schmerzten, aber der Schmerz, der in
seinen Eingeweiden wütete, verging nur quälend langsam.
Es
wurde schon hell, als er sich mühsam erhob und seine Kleidung
aufsammelte. Wie in Zeitlupe, mit schweren, schleppenden
Bewegungen kleidete er sich an, dann suchte er sich einen Weg
zurück zum Lager. Erstaunt bemerkte er, dass er sich schon ganz
in dessen Nähe befand.
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Teil 17 - Verletzungen
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